ERWACHSEN WERDEN!
ICH GEBE DIR FLÜGEL,
HILFE, MEIN KIND WIRD FLÜGGE

Solange die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln.
Werden sie älter, gib ihnen Flügel.
– Redewendung aus Indien

 

Erwachsen werden.
Ich hab die Veränderung gespürt, die in der Luft lag. Mein kleines Baby, Anni, ist schon lange nicht mehr Baby – auch wenn sie genau das natürlich immer bleiben wird. Für mich. Aber ganz objektiv betrachtet, ist sie eben eine heranwachsende, junge Frau, die sich allmählich löst. Ganz langsam, aber stetig – Schritt für Schritt.

Vor wenigen Wochen saßen wir beieinander und sie deutete an, dass sie gern allein auf Reisen gehen würde. Eine Sprachreise oder so etwas in der Art, waren ihre Worte. Da saß ich und schluckte heimlich. Ich stockte und mir wurde plötzlich klar: Das ist es. Der Zeitpunkt ist gekommen. Genau vor dem Moment hatte ich lange Zeit Angst. Mein kleines Mädchen wird wirklich groß und möchte ihre Flügel ausstrecken. Und ich als Mama muss mich da zurücknehmen und es zulassen.

Schon viel früher habe ich darüber nachgedacht, wie es sein wird. Wie es sein wird, wenn meine Tochter, meine Erstgeborene, losziehen möchte. Uns beide verbindet so viel, unser Band ist so eng. Und immer wieder kam ich zu dem Schluss, dass ich sie unterstützen möchte. Immer, bei allem. Denn ich wünsche mir für sie eines ganz besonders: Sie soll ihren Weg gehen dürfen, und zwar genau so, wie sie es für richtig hält. Ich möchte nicht die Mutter sein, die auf sie einredet. Ich möchte auch nicht die sein, die sie einengt, ihre Flügel stutzt und ihr den Antrieb nimmt. Ich möchte ihr Rückendeckung geben, und Sicherheit, Eben all das, was ein junger Mensch in diesem Alter braucht, um seinen Weg und seinen Platz in dieser Welt zu finden und letztendlich auch zu gehen.

Ich weiß, dass es sicher irgendwann Situationen geben wird, eingeschlagene Wege, die ich vielleicht anders einschätze und nicht ganz so rosarot sehen werde. Aber auch das gehört dazu. Auch kleine Irrwege sind Teil des Ganzen und lehren so viel. Ich weiß es ja von mir. Ich hab mich immer gern für den schweren Weg entschieden. Irgendwie schon fast aus Prinzip. Und so doof mir mancher davon im Nachhinein auch erscheint, so gut und wichtig war er doch, weil mich eben jeder dieser Wege geprägt und vorangebracht hat. Mich klüger, stärker, besser gemacht hat. Und nun darf ich meine Tochter auf diesem (Lebens-)Weg begleiten. Das erfüllt mich mit Stolz, macht mir aber streckenweise auch Angst. Es fühlt sich an, als wäre ich für all das noch nicht bereit. Als würde die Zeit schneller rennen, als mir lieb ist. Als würde ich laut rufen: Halt, Stop – sie ist doch noch mein kleines Anni-Mausa-Mädchen. Wo ist die Zeit hin?!

Ich habe die Zeichen gesehen. Ich wusste, es geht jetzt los. Erste Verabredungen mit Freunden, Bummeltouren durch die Innenstadt. Nagellack. Wie das halt so ist, wenn man ein Teenie ist. Erste Freiheiten. Und dann die Frage aus heiterem Himmel: Kann ich nächstes Jahr für eine Reise ins Ausland?  Diese gemischten Gefühle, die ich hatte. Einerseits so stolz, dass sie sich das zutraut und so offen ist und dann aber meine Mama-Ängste und die Sorge, dass jetzt alles ganz schnell geht. Ich schaute sie an, ein wenig verdutzt und hakte nach. Weg? Wohin? Warum? Und dann sagte ich: Na klar. Mach das. Das ist eine gute Sache. Wir schauen gemeinsam, ob wir was passendes finden. Und so ist es nun. Wir alle planen aktuell ihren ersten Trip ganz allein – für 2019. Eine Sprachreise. Ich bin gespannt, wohin es Anni verschlagen wird. Und ich weiß schon jetzt, dass dies der Anfang ist. Meine kleine Tochter ist groß – und wird flügge. Sie hat ihre Flügel schon gespannt und ist bereit zum abheben. Jeden Tag ein wenig mehr. Jeden Tag übt sie sich Stück für Stück in Unabhängigkeit. Und auch wenn ich in Zukunft wohl so manches Mal ein heimliches Tränchen verdrücken werde, so bin ich doch froh darum und stolz auf sie. Ich bin stolz darauf, eine so große Tochter zu haben. Eine junge Erwachsene, die sich bereit macht, ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Ich lasse ein Stück weit los, damit sie daran wachsen kann. Voller Spannung und in Vertrauen.

 

 

Ich mag mich nicht!
Aus der Lebenskrise zurück zu mir

Ich stehe nach dem Duschen vor dem Spiegel, schaue mich an und bin.. Ja, was bin ich eigentlich? Ich mag mich, ich bin angekommen und viele Unsicherheiten, die ich in den letzten 15 Jahren mit mir herumtrug, habe ich abgelegt. Ich kann es gut mit mir aushalten. Tatsächlich. Und noch vor fünf Jahren war das nicht so. Noch vor fünf Jahren war ich die Unsicherheit in Person.

Ich erinnere mich zurück an eine Zeit, in der es mir schlecht ging. In der ich nicht essen wollte. In der ich über jedes Kilo, das ich verlor, glücklich war. Nein, eine Zeit in der ich über jedes Kilo was ich nicht verlor, verzweifelt war. Ich erinnere mich daran, wie unwohl ich mich in meinem Körper fühlte. Ich immer dachte, ich wäre zu kräftig gebaut. Zu viel Po, zu viel Oberschenkel, zu viel Brust. Von allem zu viel. Zu große Zähne, zu wenig Haare, zu viele Muttermale, zu lange Finger, schiefe Knie, ein hässlicher Bauchnabel, eine zu spitze Nase. So gern ich sagen würde, das wäre überspitzt, aber nein, das ist es nicht. Tagtäglich kämpfte ich gegen mich an. Ein innerer Kampf. Sagte man mir, ich wäre schön, kam das nicht an. Ganz im Gegenteil. Es fühlte sich an wie Hohn. Ist das nicht verrückt? Da sagt dir dein Mann, du würdest schön aussehen und du kannst es nicht annehmen. Es bewirkte viel mehr, dass ich mich unwohl fühle. Noch unwohler. Ich erinnere mich noch heute an die Anspannung. Diese Unsicherheit, sie war fürchterlich. Und um diese Unsicherheit zu überspielen, lachte ich immer besonders laut. Lächelte, strahlte, grinste und versuchte, meine Fassade aufrecht zu erhalten. War ich jedoch allein, war ich zutiefst betrübt. Es sind Sätze von Verwandten oder Freunden, in der frühen Jugend, die vollkommen unbedacht ausgesprochen werden und so viel Nachdruck haben. Ein flapsiges: „Iss nicht so viel, sonst findest du später keinen Mann!“, brennt sich ein, wird niemals vergessen. (mehr …)