Ein Gastbeitrag von Christina, die seit 15 Jahren in der Schweiz lebt, liebt und arbeitet.
Mehr zu Christina lest ihr unten in der Autorenvorstellung.

Arbeiten bis die Fruchtblase platzt 2.0
– die Schweiz, das Land mit der light-Version des Mutterschutzes

 

Seit 15 Jahren ist die Schweiz mein neues Zuhause.

Als mich mein damaliger Arbeitgeber in die Schweiz versetzte, dachte ich:
Yaay, Jackpot!

Denn was einem als erstes einfällt, wenn man an die Schweiz denkt, ist doch der Wohlstand, die teuren Uhren, die Schwarzgeldoase, die leckere Schokolade und natürlich die Idylle der Alpen. Idylle…

All das hat mich auch willkommen geheißen. Der erste Eindruck war überwältigend.
Die erste Gehaltsabrechnung noch viel überwältigender…
Ich habe das Leben also in vollen Zügen genossen, habe 1200 CHF (1 CHF = 0,92 Euro) für meine 1 Zimmer Wohnung ohne Balkon bezahlt, Waschpulver für 50 CHF gekauft, eine Pizza für 20 CHF und, und, und…
Der Schein, der im Vergleich zu Deutschland sehr hohen Gehaltsabrechnung, trügt also.

In meinem damaligen Bekanntenkreis gab es noch keine Babys, so dass ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde, als ich schwanger war.
Je näher ich auf das Ende der Schwangerschaft zusteuerte, desto öfter wurde ich von meinen Freunden in Deutschland gefragt, wie lange ich denn noch müsse.
Wann ich denn in den Mutterschutz gehen würde, der ja schliesslich 6 Wochen vor dem errechneten Termin anfangen würde.
6 Wochen vor dem errechneten Termin? Toll, dachte ich!
Ich wusste es nicht und habe mich zu dem Zeitpunkt auch nicht groß damit beschäftigt, war aber natürlich überzeugt davon, dass es hier nicht anders sein würde. Warum auch?

Beim nächsten Frauenarztbesuch fragte ich dann also, wann ich denn in den Mutterschutz gehen würde.
Kalt und trocken kam zurück: „Sobald Ihre Tochter geboren ist, liebe Frau Müller. Ich weiß, dass der Mutterschutz in Deutschland schon 6 Wochen vor der Geburt anfängt. Hier aber nicht – warum auch – Sie sind ja schwanger und nicht krank.“

Bäääm.

Schüchtern habe ich also noch mal nachgefragt, was denn zu tun sei, wenn ich im Büro Wehen kriegen sollte…
Seine Antwort war: „Na dann fahren Sie nach Hause oder direkt ins Spital. Ein Baby kommt, wie Sie vermutlich wissen, nicht sofort nach dem Einsetzen der Wehen.“

Gut, das war eine klare Ansage.

Da man mir aus medizinischer Sicht einen (geplanten) Kaiserschnitt empfohlen hat, blieb mir das Szenario erspart. Ich arbeitete also bis Freitag und am Dienstag der Folgewoche wurde meine Tochter geboren.

Fakt ist, der Mutterschutz/das Beschäftigungsverbot beträgt in Deutschland 14 Wochen. 6 Wochen vor der Geburt und 8 Wochen nach der Geburt. Man hat also die Möglichkeit, sich auf die Geburt vorzubereiten oder einfach zu entspannen.
Kann man in der Schweiz auch – nach Feierabend – man ist ja schließlich nicht krank.
In der Schweiz beträgt das Beschäftigungsverbot 8 Wochen und der Mutterschutz insgesamt 14 Wochen. Anfangend mit dem Tag der Geburt. In diesen 14 Wochen bekommt man 80% vom Gehalt. Netterweise hat man die Möglichkeit, noch 2 Wochen unbezahlten „Urlaub“ anzuhängen. In Absprache mit dem Arbeitgeber versteht sich.

Dieses Gesetzt gibt es notabene erst seit dem 01.01.2005.
Vorher hat das Gesetz trotz achtwöchigem Arbeitsverbot eine Lohnfortzahlung nur während drei Wochen garantiert.

Für viele Familien in der wohlhabenden Schweiz eine finanzielle Herausforderung!

Ich habe mir den Luxus gegönnt und bin 9 Monate zu Hause geblieben. Dies war durch einen sehr verständnisvollen Chef, der selbst Deutscher und Familienvater war, möglich. 16 Wochen plus Resturlaub, Kompensation des 13. Monatsgehaltes und unbezahlter Urlaub sollten mit das Abenteuer Mama möglich machen.

Ich konnte also mit meinem Baby zum Babyschwimmen, zu Krabbelgruppen, etc. Während die Kurse/Gruppen in Deutschland sehr gut besucht sind, waren die Kurse in Zürich gut überschaubar. Einfach aus dem Grund, dass die meisten Mütter nach 3 Monaten wieder arbeiten mussten und ihre zerbrechlichen, schutzbedürftigen Babys fremdbetreuen lassen mussten. Herzzereißend!
Ich hätte mir nicht vorstellen können, mein Kind «einfach wegzugeben». Leider lässt einem das Leben nicht immer eine Wahl.

Elternzeit, Vaterschaftsurlaub, und was es sonst in Deutschland noch für Goodies gibt, gibt es hier nicht…
Frau geht also nach 14 – 16 Wochen wieder arbeiten, oder sie ist in der komfortablen Situation, dass der Mann für das Einkommen sorgt.
Sollte man diese komfortable Situation nicht haben und einen Vollzeit-Krippenplatz brauchen, so kostet dieser in der Stadt Zürich ca. 2500 CHF. (Dieser Betrag richtet sich nach dem monatlichen Einkommen. Selbstverständlich gibt es bei niedrigem Einkommen auch Subventionen.)

Da die Kinder hier erst mit 5 in den Kindergarten kommen, der dann obligatorisch und deswegen kostenlos ist, kann man sich leicht ausrechnen, was die ersten 5 Jahre kosten.

Es gilt also abzuwägen, ob sich das Arbeiten wirklich lohnt. 

Sollten die Kleinen mal krank werden, können sie natürlich nicht «abgegeben» werden. Man muss also jonglieren. 

Das Gesetz schreibt vor, dass man pro Krankheitsfall bis zu drei Tage bei dem Kind bleiben kann. 

«Diese Absenzen müssen vom Arbeitgeber bezahlt werden. Denn Eltern sind gesetzlich verpflichtet, sich um das Wohlergehen ihres Kindes zu kümmern, und in solchen Fällen ist eine Lohnfortzahlung vorgeschrieben, wie wenn man selbst krank wäre: Im ersten Anstellungsjahr sind es drei Wochen, ab dem zweiten je nach Region/Kanton eine angemessen längere Zeit. Wenn man allerdings die Zeit durch eigene Krankheit bereits ausgeschöpft hat, bekommt man zwar frei, hat aber keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.»

Vaterschaftsurlaub in der Schweiz

Da hier in der Schweiz über fast alles abgestimmt wird, wurde natürlich auch über die Einführung eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubes abgestimmt. Politiker der Mitte fanden, vier Wochen seien zu viel, die heutige Regelung (1 Tag) genüge aber nicht. Sie schlugen als Kompromiss zwei Wochen Vaterschaftsurlaub vor. 

Lange Rede, kurzer Sinn – wir schreiben das Jahr 2020 und der Vaterschaftsurlaub beträgt 1 Tag. Wie es weitergeht und ob es ein Referendum gibt, weiss heute noch niemand.

Doch, ein Goody gibt es. Die Kinderzulage = Kindergeld. Diese beträgt je nach Kanton zwischen 200 – 300 CHF. Klingt gut, nicht wahr? Wenn man aber bedenkt, dass die Krankenversicherung des Kindes mindestens 100 CHF und ein Paket Pampers ca. 20 CHF kosten, relativiert sich das alles ziemlich schnell.

Richtig gelesen… Hier wird jedes Familienmitglied einzeln krankenversichert. Es reicht also nicht, dass der Papa arbeitet und die Ehefrau und die 2 Kinder einfach mitversichert sind. Als vierköpfige Familie bezahlt man hier schnell 1000 CHF Krankenkassenbeiträge pro Monat. Zu schön wäre es, wenn die Krankenversicherungen zu dem stolzen Preis wenigstens alle Kosten decken würden. Das tut sie natürlich nicht. Man muss von jeder Arztrechnung 10 % selbst bezahlen. Geht man also mit seinem Kind zu einer U-Untersuchung, so kostet diese (ohne Impfungen) mindestens 300 CHF – sprich 30 CHF Eigenanteil.
(Franchisen gibt es natürlich auch noch… Das ist der Selbstbehalt. Je nach Höhe der selbst gewählten Franchise, sind die monatlichen Versicherungsbeiträge höher oder tiefer. Eine Erklärung des Krankenversicherungssystems würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wohlhabende Schweiz im europäischen Vergleich in Sachen Familienfreundlichkeit eher das Schlusslicht bildet. Wir sind hier weit von dem Luxus des Nachbarlandes und Lichtjahre von dem des skandinavischen Standards entfernt. 

Schade!

…und trotzdem würde ich immer wieder alles gleich machen…

 

 

DIE AUTORIN

Erst einmal ganz lieben  Dank an Christina. Denn dank Christina erhalten wir hier und heute einen kleinen Einblick, wie es anderswo in Sachen Mutterschutz läuft. In der Schweiz ist es nämlich, wie in den USA – man arbeitet „bis die Fruchtblase platzt“.
Mutterschutz? Ja, aber eben nur schmale 8 Wochen. Frau arbeitet also, bis die Wehen einsetzen und hat dann ganze zwei Monate gesetzlichen Mutterschutz. Ganz schön mager im Vergleich zu Deutschland. Grundsätzlich gibt es da doch einige, gravierende Unterschiede.

Doch wer ist Christina?

Die wundervolle Christina lebt seit nun schon 15 Jahren in der Schweiz und ist Mama einer 12-jährigen Tochter.
Sie weiß also, wie es läuft, in der wunderschönen Schweiz.

Geboren ist Christina aber in Deutschland, ihre Eltern kommen stammen aus Äthiopien. Sie lebt und liebt die verschiedenen Kulturen.
HIER findet ihr Christina bei Instagram.

 

Weitere Gastbeiträge findet ihr HIER.

 

Die wunderbare Elisabeth {bei Instagram lottalove_usa} lebt mit ihrer Tochter in den USA. Wie das so ist, in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und was für Unterschiede es zu Deutschland gibt – das erzählt sie uns heute. Ganz herzlichen Dank an dich, Elisabeth. 
 
 
Arbeiten bis die Fruchtblase platzt
Amerika, das Land ohne Mutterschutz 
 
 
Ich bin fassungslos. Jeden Mittwoch Vormittag. Da bin ich in der Bücherei. Vorlesestunde für Kinder von 0-2 Jahren. Und da, vor der großen Tür, hüpfen, krabbeln, essen und weinen die Kleinen und warten bis es endlich los geht. Meine Tochter ist fast die Einzige, die mit ihrer Mama da ist. Die meisten anderen Kinder kommen mit ihrer Tagesmutter (in den USA „Nanny“ genannt), denn ihre Eltern haben keine Zeit. Sie müssen arbeiten. 
 
Amerika ist das einzige entwickelte Land auf der Welt, in dem es bis heute noch keine bezahlte Elternzeit, keinen bezahlten Mutterschutz gibt. Hier schuftet eine Schwangere bis die Fruchtblase platzt – und unter Umständen noch danach für ein paar Stunden. Und genau das macht mich fassungslos, wütend –  und dankbar. Dankbar, dass ich als Deutsche nicht unter diesem Druck ein Kind bekommen muss. 
 
Was das wirklich bedeutet, in einem Land ohne Mutterschutz zu leben, habe ich im Geburtsvorbereitungskurs realisiert. Da wurden wir Schwangere mit praktischen Tipps ausgestattet. Ab der 34. Woche sollten wir einfach immer ein paar Wechselklamotten und Handtücher dabei haben. Wenn dann während der Arbeit die Fruchtblase platzt, könne man sich umziehen und ein Handtuch auf den Stuhl legen. Oft setzten ja die Wehen erst ein paar Stunden später ein. Wenn diese dann nicht mehr auszuhalten seien, sollte man natürlich ins Krankenhaus gehen. Ich dachte wirklich erst, die Hebamme macht einen komischen Witz. Doch das war leider keiner. Und. Ich. War. Sprachlos.
 
Und so muss die Frau, die sich entscheidet ein Kind zu bekommen, eben in den sauren Apfel beißen – und einfach irgendwie klarkommen. 
 
Drei Monate Mutterschutz sind von den meisten US-Unternehmen ab einer bestimmten Größe  gewährleistet, diese sind dann aber unbezahlt. Und deshalb arbeitet hier jede Frau bis zum Tag der Geburt. Schließlich möchte sie so lange wie möglich frei haben, wenn das Kind da ist. 
 
Denn auch nach der Geburt ist hier jede Neu-Mama ganz schön auf sich gestellt. Hebammen, die vor, geschweige denn nach der Entbindung einem mit Rat, Liebe und Sicherheit zur Seite stehen, gibt es hier nicht. Genauso wenig gibt es Angebote wie Rückbildungskurse.  Das einzige, was ich finden konnte sind „Baby and Me“-Yogakurse, die von vielen Yogastudios angeboten werden. Zumindest in größeren Städten. 
 
So habe ich fast alle meine lieben Mama-Freundinnen kennengelernt. Under anderem auch Debbie. Ich werde nie vergessen, wie mir diese glückliche und vom Schlafentzug gezeichnete Mama sieben Wochen nach der Geburt ihres Sohnes von der Suche nach einer geeigneten Kinderbetreuung erzählte. Mit dem Baby im Arm und Überforderung in den Augen schilderte sie, wie sie verzweifelt jeden Tag Bewerbungsgespräche mit jungen und älteren Frauen aus Mexico, Thailand oder Kenia führte. Jeden Tag die Hoffnung diejenige; die Richtige zu finden. Die, der man das eigene, kleine, hilflose Baby morgens in die Arme legt und ohne Sorge das Haus verlassen kann, um zu arbeiten. Diejenige, der man blind vertraut und das Teuerste anvertraut.  Ich spürte, wie Debbies Mutterherz blutete und bekam allein schon bei dem Gedanken mein drei Monate altes Baby mit jemandem anderen von Montag bis Freitag zurück zulassen einen dicken Kloß im Hals. 
 
Stillen, das war Debbie ganz wichtig, wollte sie weiterhin. Auf die stillende, arbeitende Mutter haben sich die meisten Arbeitgeber in den USA eingerichtet und stellen sogenannte Pump-Rooms zur Verfügung. Ein Raum, indem die frisch gebackene Mutter Milch abpumpt, die dann die Nanny dem Baby am nächsten Tag verfüttert. Welch netter Service. Wie bequem. Wie… fortschrittlich? 
 
Meine Bekannte Hope wollte dies nicht. Sie, eine erfolgreiche Anwältin, kündigte ihren Job, weil es in ihren Augen sinnlos war, dass fast ihr gesamtes Gehalt in die Kinderbetreuung gegangen wäre. „Da bleibe ich doch lieber zu Hause bei meinem Sohn“. Sie musste sich entscheiden. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, blieb ihr keine Wahl. 
 
Wenn ich dann meine Freundinnen erschüttert anschaue und ihnen erzähle, wie das System in Deutschland funktioniert – denken sie, sie hören nicht recht. 
 
Meine Tochter ist jetzt ein Jahr. Seit dem sie 9 Monate alt ist, habe ich wieder angefangen als Journalistin freiberuflich zu arbeiten – und war im US-Bekanntenkreis eine der letzten, die nach Geburt wieder in den Beruf einstieg. Und dann noch nicht mal vollzeit. Während in Deutschland die arbeitende Mutter leider häufig noch als Rabenmutter betitelt wird – übrigens, das Wort „Rabenmutter“ existiert im Englischen nicht – habe ich hier eher fast das umgekehrte Problem: Seit dem meine Tochter drei Monate alt ist, muss ich erklären wieso. Ich. Noch. Nicht. Arbeite. Manchmal fühlte ich mich sogar schlecht. Faul. Dachte: um Himmels Willen, du kannst ausschließlich für dein Baby da sein und es versorgen und machst sonst nichts? Und irgendwann verstand ich: Die Amerikaner kennen es einfach nicht anders und sind erstaunt, dass es Länder gibt, in denen die Familie auch vom Staat anerkannt und unterstützt wird.
 
Nun, ich arbeite also wieder und ich genieße es neben storytime, Play Dates und Babysport wieder etwas anderes zu tun. Meine Arbeit fühlt sich so an, als täte ich etwas für mich. Ich kann meinen Kopf anstrengen, meine Horizont erweitern und verdiene mein Geld. Das ist großartig. Und seit dem ich arbeite, genieße ich noch mehr die Stunden und Tage mit meinem Mädchen.  Doch ich hatte die Wahl und die Freiheit und das bleibt in Amerika den meisten Mamas einfach verwehrt.  Und oft haben die sogar das Gefühl doppelt draufzuzahlen: „Dann kommst Du nach Hause, willst nur noch Dein Baby in den Arm nehmen und dann dreht sich das nur weg und will lieber zur Nanny. Das tut weh. Jedes Mal ein Stich ins Mamaherz“, sagte meine Freundin neulich. 
 
Heute werde ich wieder in die Bücherei gehen und auch diesmal werde ich auffallen als Mama. Ich liebe es, jedes Mal zu sehen, an welches Lied, welchen Reim und an welches Fingerspiel sich meine Tochter erinnert. Auch viele Nannys sind wirklich mit Herzblut dabei. Es gibt aber auch welche, die tippen gelangweilt in ihr Handy. 
 
Vergangene Woche saß dort eine Nanny, die hat die Zeit genutzt, um ein Schläfchen zu halten. Das ertrage ich kaum. Weil ich genau weiß, dass die Mama von dem Kind so viel dafür geben würde, selbst dabei zu sein und mit ihrem Kind das alles zu erleben. 
 
Ich bin fassungslos. Nicht nur jeden Mittwoch Vormittag.