Ihr Lieben, heute gibt es eine Gastkolumne von Lisa, die uns bittere Tränen in die Augen getrieben hat. Ich saß da, las den Text und war wie versteinert. Erschüttert. Liebe Lisa, danke dir, dass du uns deine Geschichte erzählst. Danke!

Ich wurde darauf hingewiesen, dass dieser Text triggern kann. Deshalb hier auf Wunsch, eine Trigger-Warnung!


Kinder brauchen Schutz!
Ich werde niemals Hand an mein Kind legen. Nie!

Als ich schwanger wurde, habe ich oft darüber nachgedacht, wie meine Erziehung so sein wird. Ob ich streng sein werde, ob ich die coole Mutter „von nebenan“ sein werde, oder ob ich alternativ an das Ganze herangehe. 
Eins stand aber von Anfang an fest. Ich werde niemals Hand an mein Kind legen. Nie!

Seit ich mich erinnern kann, ist meine Mama mit uns, meinem jüngeren Bruder und mir, allein gewesen. Natürlich gab es immer wieder einen Mann in ihrem Leben, einige davon hat sie geheiratet, aber wir drei waren immer eine feste Instanz, egal was kam. Wir drei gegen den Rest der Welt. Sie war cool und lustig. Man konnte mit ihr wilde Sachen machen und später auch ernste Gespräche über fast jedes Thema führen. Wir stehen auch heut noch immer zusammen, egal was kommt. 

Um sich und uns alles bieten zu können, hat meine Mama immer gearbeitet. Die meiste Zeit als Kellnerin in Restaurants. Da sie dadurch nachts oft erst sehr spät Heim kam, mussten wir früh selbstständig werden, aber das war ok so. 

Als ich in der ersten Klasse war, habe ich zum ersten Mal realisiert, dass meine Mutter anders war, als die anderen Mütter. Wir hatten ein Lesebuch, die „Tobi-Fibel“, mit der wir lesen lernten. Als Hausaufgabe hatten wir oft auf, die Seite mit dem neu erlernten Buchstaben zu lesen. Meine Mutter wollte mehr. So kam es, dass ich nach nur einem halben Jahr das gesamte Buch lesen konnte. Auf jeder 2. Seite waren kleine, dunkelrote Flecken zu sehen und ich hatte in der Zeit oft Kopfschmerzen, aber niemand hat etwas bemerkt. Auch die vielen Flecken an Armen und Beinen haben niemanden dazu gebracht, neugierig zu werden. Nie wurden wir gefragt, warum wir alle AG’s belegt hatten, die angeboten wurden. In der 7. Klasse kam ich nie vor 17 Uhr nach Haue. Nie. Alle dachten, dass ich ehrgeizig seiund so viel Wissen vermittelt bekommen haben wollte, wie nur irgendwie ging. Ich wollte aber einfach nur nicht nach Hause. An Karneval haben mein Bruder und ich uns am liebsten gegenseitig für das Fest in der Schule verkleidet, nachdem ich in dem einem Jahr meinen Ohrring und ein Stückchen meines Ohrs im Waschbecken schwimmen sah. 
Häufig haben mir die Wangen gebrannt, die Ohren geklingelt oder jedes Körperteil hat wehgetan. Niemals ist jemand auf die Idee gekommen, dass das Mädchen, das so laut lacht und so viel redet, Probleme hat. Meine Freunde wollten nur nicht so gern zu mir nach Hause kommen, weil meine Mutter immer so laut wäre. So einschüchternd irgendwie. 

Die Ferien waren für uns immer am schlimmsten. Früh aufstehen, damit man nicht aus seinem Rhythmus kommt, und Schulranzenkontrolle standen auf der Agenda. Jedes Blatt, das nicht vollständig ausgefüllt war, bedeutete soweit wie möglich auf der Bank nach hinten rutschen, damit sie nicht so schnell an einen ran kam. 
Später dann, als sie meinen Stiefvater heiratete, und dieser drei Kinder mit in die Ehe brachte, hieß es dann für mich als Älteste oft, so schnell wie nur möglich den Ärger auf mich ziehen, damit die 4-jährige nicht so leiden muss. Oft hat das gewirkt. Leider nicht immer. Mit 17 habe ich dann beschlossen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Widerworte geben würde. Das habe ich. An einem Sonntagmorgen im August. Ich habe in einem Altersheim in der Küche gearbeitet, um ein bisschen Geld zu verdienen, und wir haben uns gestritten. Meine Mutter hat sich über eine erfundene Missetat meinerseits aufgeregt und das ganze Haus mit ihrem Gebrüll geweckt. Ich wusste, dass sie lügt und hab es ihr ins Gesicht gesagt. Noch nie in meinem Leben habe ich Angst und Stolz gleichzeitig so intensiv gespürt wie an diesem Tag. Ich musste mit einem blauen Auge arbeiten gehen. An diesem Tag bin ich ausgezogen. In eine Wohngruppe unter der Leitung des Jugendamtes. Ich hätte keine bessere Entscheidung treffen können. Meine Mutter sah das lange nicht so, und jedes Mal, wenn ich versucht habe, ihr entgegen zu kommen, hat sie mich mehr und mehr verletzt. Lange Zeit habe ich versucht, diese Frau zu hassen, für das, was sie uns angetan hat. Dafür, dass sie nie da war. Dafür, dass sie ihre zwei kleinen Kinder mit einem Babysitter alleine lässt, der ihre Tochter anfässt und sie ihr nicht geglaubt hat, als sie mit einem blutigen Nachthemd vor ihr stand. Dafür, dass sie mich gezwungen hat, lesen zu lernen und einen Weg einzuschlagen, der niemals meiner gewesen wäre. 

Nach einigen Therapiestunden habe ich aber erkannt, dass ich sie nicht hassen kann. Weil sie meine Mutter ist. Und das auch immer sein wird. Trotzdem haben wir mehrere Jahre nicht wirklich miteinander gesprochen, nur über oberflächliches. Sie lud nach wie vor ihren Ballast gerne bei mir ab, ich hörte aber einfach nicht mehr richtig zu. 

Seit ich Mutter bin, hat sich unser Verhältnis mehr als gebessert. Sie ist eine tolle Mutter und eine Klasse Oma. Dennoch reden wir zur Zeit nicht miteinander. Wir haben uns gestritten. Nach 22 Jahren kann ich endlich meine Frau stehen und eine Diskussion mit meiner Mutter führen, ohne Angst davor zu haben, wie ich morgen die nächsten blauen Flecke kaschiere oder wie man Schürfwunden versorgt. 

Eltern, die ihre Kinder misshandeln, egal ob psychisch oder physisch, haben die Kontrolle verloren. Jedes Mal, wenn sie die Hand gegenüber ihres Kindes erheben, geht ein kleines bisschen Seele des Kindes verloren. Sie sterben innerlich, weil sie nicht verstehen, wie der Mensch, dem sie am meisten vertrauen können sollten, der sie beschützen sollte, ihnen das antun kann. 

Kinder brauchen Schutz!

Kinder entwickeln sich zu dem Menschen, zu dem sie gemacht werden. Weniger starke Kinder werden zu einem Abbild ihrer Eltern. Leider passiert das viel zu oft, weil sie häufig keine Hilfe bekommen und niemals aus diesem Leben ausbrechen können. Andere, leider die wenigsten, schaffen es, zu einem Erwachsenen heranzuwachsen, zu dem sie als Kind aufgesehen hätten.

Ich bin niemals untätig, wenn ich sehe, dass einem Kind Leid angetan wird. Ich hätte mir gewünscht, jemand hätte mir als Kind geholfen. 

Jetzt als Mutter sitze hier und beobachte meine eigene Tochter. Sie wird Ende des Monats ein Jahr alt und ist alles für mich. Für uns. Sie strahlt und lacht. Sie sagt Mama und Papa. Jedes Mal wenn ich  das Wort Mama aus ihrem Mund höre, schlägt mein Herz schneller und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, ihr jemals etwas zu tun. Ihr Vater hat mich gerettet, als es mir so schlecht ging, dass ich dachte, das ich nie wieder aufwachen möchte. Er hat mir gezeigt, dass das Leben lebenswert ist und teilt seine Ansichten mit mir. Er wusste lange Zeit nicht, wie schlimm das wirklich war, was ich erlebt habe. Vor einiger Zeit habe ich ein Buch gelesen, das mich so aufgewühlt hat, dass er mich gebeten hat, ihm alles zu erzählen, damit er mich verstehen kann. Wir haben geredet. Lange. 

Ohne ihn wäre ich nicht hier und ohne ihn, wäre ich nur ein halb so guter Mensch, da bin ich mir sicher. Ich liebe ihn sehr. Und mein Baby. Oh ja, sie liebe ich ganz besonders.