TUE GUTES, SEI EIN VORBILD – AMERIKAS „GIVING-BACK-KULTUR“
Elisabeth hat sich wieder für euch ins Zeug geschmissen und spannende Worte in einer neuen Kolumne verfasst. In ihren Texten zieht sie einen Vergleich: Deutschland vs. USA. Elisabeth kennt beides, als Deutsche lebt sie mit ihrer Familie in Washington und ist als Journalistin tätig. Heute geht es um die „Living-Back-Kultur“ der Amerikaner. Tue Gutes, sei ein Vorbild und sprich darüber. Und als wäre das nicht schon interessant genug, hat Elisabeth auch noch Ingo Zamperoni, den Amerika-Korrespondenten und zukünftigen Tagesthemen-Moderator des NDRs interviewt. Spannend. Die letzten drei Artikel von Elisabeth findet ihr HIER (Arbeiten bis die Fruchtblase platzt, das Land ohne Mutterschutz), HIER (Mutter, Mutter, Vater, Kind) und HIER (von Fettnäpfchen und Unterschieden).
Da Elisabeth nun regelmäßig für Oh Wunderbar schreibt, hat sie ab sofort sogar eine ganz eigene Kategorie oder ihr sucht in der Suchfunktion einfach nach Elisabeth.
„Tue Gutes, sprich darüber, damit Andere es auch tun“
Tue Gutes, sei ein Vorbild! Amerikas „Giving-back-Kultur“
Die Amerikaner sind ein bequemes Volk. Der Coffee to go lässt sich nicht nur gemütlich im Auto trinken, sondern schon vom Fahrersitz aus bestellen: am sogenannten „Drive-through“-Schalter. Auch für die Hemden aus der Reinigung muss man nicht aus dem Auto aussteigen und das Bargeld lässt sich ebenfalls einfach und unkompliziert aus dem „Drive-through“-Geldautomaten ziehen. Alles easy, alles bequem. Doch alles andere als easy und bequem sind die Amerikaner, wenn es darum geht, sich zu engagieren und „etwas zurückzugeben“.
„It’s about giving back“, erklärt mir ein Bekannter. Er ist aus sehr wohlhabendem Elternhaus und engagiert sich seit Jahren beim „Boys and Girls Club“, der benachteiligten Kindern hilft. Ob im beruflichen oder privaten Rahmen: dauernd wird über „giving back“ gesprochen. Anfangs kam mir das merkwürdig und etwas bemüht vor. Nach dem Motto: Tue Gutes – und rede darüber. Ist das die Vermarktung des eigenen Gutmenschentums? Gewiss nicht! Die Amerikaner sind wirklich ein besonders großzügiges und hilfsbereites Volk. Das ehrenamtliche Helfen zieht sich durch alle Schichten und prägt den amerikanischen Alltag. Hier fragt niemand, ob man sich engagiert, hier geht es lediglich darum, für welchen Zweck man sich einsetzt.
Anders als in Deutschland bedeutet Nachbarschaft hier mehr, als nur anonymes nebeneinander Herleben. Viele US-Bürger setzen sich gemeinsam aktiv für die Gemeinschaft, die Community ein. Am Wochenende organisieren sie gemeinsam einen Kuchenverkauf in ihrer Straße – der Erlös wird für einen guten Zweck gespendet. Einer jungen Mutter bringen die Nachbarn eine warme Mahlzeit vorbei, erledigen für sie die Einkäufe und saugen beim Besuch noch schnell das Wohnzimmer durch. Andere treffen sich an einem Samstagmorgen mit Freunden zu einem Spendenlauf. Schwitzen für den guten Zweck – gemeinsam sich und etwas bewegen. Jeder nach seinen Möglichkeiten.
Das Interview: Ingo Zamperoni zur „Giving-Back-Kultur“ in den USA
Ingo Zamperoni lebt seit mehr als zwei Jahren mit seiner Familie in Washington. Der Amerika-Korrespondent der ARD und künftige Tagesthemen-Moderator hat diese „Giving-back-Kultur“ gerade in einer großen Fernseh- Reportage gewürdigt.
„Die USA – Das Geberland. Wie Amerikaner aus der Not eine Tugend machen“ von Ingo Zamperoni findet ihr HIER. http://www.ardmediathek.de/tv/WDR-Weltweit/Das- Geberland-Wie-Amerikaner-aus-der-N/WDR-Fernsehen/ Video?bcastId=7989132&documentId=34321480cdd
Ich treffe ihn, weil ich wissen möchte, wie er in seinem Alltag mit seiner amerikanischen Frau und als Vater dreier Kinder sowie das Engagement der Amerikaner erlebt.
„Es begegnet einem auf Schritt und Tritt, gerade wenn man Kinder hat. Zum Beispiel in der Schule unserer Kinder ist das Engagement der Eltern für den Schulbetrieb ziemlich hoch. Sie organisieren wahnsinnig viel, was außerhalb des Stundenplans stattfindet, Ausflüge und andere Dinge. Da kommen dann auch immer gleich 3-4 Eltern mit. Auch findet jedes Jahr eine Versteigerung statt, die von einer Elterninitiative ins Leben gerufen wurde. Das ist der Hammer! Alle Eltern spenden Sachpreise, die dann ersteigert werden können. Der eine hat ein Ferienhaus in den Blue Ridge Mountains und bietet dann eine Woche Ferien in den Bergen an, oder es gibt ein Mittagessen mit einem Senator auf dem Capitol Hill zu ersteigern. Meine Frau und ich haben dieses Jahr eine Party für 50 Leute versteigert. Eine „Biergarteneröffnungsparty“. Wer dabei sein wollte, musste 50 Dollar für den Eintritt zahlen – da kommt dann schon was zusammen.“
Wieso gibt es hier in Amerika so auffällig viel ehrenamtliches Engagement?
„Ich glaube, das gehört sozusagen zur DNA dieser Nation. Eine große Rolle spielt der Nachahmungseffekt. Es heißt ja: Tue Gutes und sprich darüber, damit Andere es auch tun. Man sieht um sich herum Menschen, die sich engagieren und dann denkt man sich: „Hey, komm! Ich müsste meinen Arsch vielleicht auch mal bewegen und was tun und mich engagieren.“
Zum Beispiel haben Nachbarn von uns die syrische Flüchtlingssituation gesehen und in der Nachbarschaft einen Kuchenverkauf organisiert und so 1600 Dollar an einem Nachmittag gesammelt. Wichtig dabei ist auch: Man sammelt zwar Geld und tut was Gutes, aber es steht dabei eben auch im Vordergrund, Spaß und eine gute Zeit zu haben. Generell glaube ich, dass drei Faktoren ausschlaggebend sind.
Zum einen sind Amerikaner gerne selbst verantwortlich für das, was sie ausgeben. Statt Steuern zu zahlen oder an eine große Organisation zu spenden, sagen sie: Hey, ich will die Auswirkungen direkt sehen.
Zweitens ist es eine Nation von Einwanderern. Die kamen hierher und es gab keine Strukturen. Die mussten sie sich erst aufbauen. Viele waren auf Nachbarn oder Freunde angewiesen, weil sie alleine aufgebrochen waren, ohne Verwandte. Und daraus hat sich diese Nachbarschaftshilfe entwickelt. Zudem haben die ganzen Einwanderer aus Europa einen gewissen Drive mitgebracht. Die kamen hierher und wollten was aus ihrem neuen Leben machen. Und diesen Motor, dieses „Ich mach da jetzt was draus“ spürt man bis heute und das wird eben von Generation zu Generation weitergegeben.
Der dritte Punkt ist, dass dieses Engagement der Zivilgesellschaft schon von den Gründervätern eine Maxime war. Also nicht in der Hängematte liegen und hoffen, dass Vater Staat einem hilft, sondern eben, dass man sich gegenseitig hilft. Dies wurde als Ideal gesehen, auch von den verschieden Präsidenten: Jefferson oder Madison – eigentlich durch die Bank weg. Es wurde eventuell mal unterbrochen, wie zum Beispiel von Roosevelt, der den New Deal ausgerufen hat und riesige ABM-Maßnahmen beschlossen hat, um Jobs zu schaffen und den Bürgern zu helfen. Und ehrlich gesagt: es geht auch nicht ohne solche Unterstützung vom Staat. Also das reine Ideal, dass man nur auf sich angewiesen ist, funktioniert nicht. Es muss eine Mischung sein. In den USA spürst Du, was Kennedy einmal sagte: „Frag nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frag, was Du für Dein Land tun kannst!“
Ich wohne jetzt schon ein paar Jahre in den USA – und wundere mich trotzdem noch, dass es hier bestimmte soziale Errungenschaften einfach nicht gibt, wie etwa den bezahlten Mutterschutz. Glaubst Du, dass sich das gesellschaftliche Engagement manchmal auch aus einer Verzweiflung heraus entwickelt, nach dem Motto: Wir müssen uns gegenseitig helfen, der Staat tut es ja nicht?
„Klar, und eigentlich ist das die große Frage. Zieht der Staat sich zurück, weil die Zivilgesellschaft eh so engagiert ist oder springt die Zivilgesellschaft ein, weil der Staat so marode ist? In meiner Reportage haben wir in einer Klinik gedreht, die jeden dritten Sonntag im Monat Bedürftigen, die keine Krankenversicherung haben, Operationen umsonst anbietet. Da sag ich mir doch als Deutscher: Wahnsinn, dass es sowas geben muss!
Gleichzeitig finde ich es irre, was das für ein Engagement hervorruft und ich glaube auch, dass es einen positiven Effekt auf den „Helfer“ hat und gesundheitsförderlich ist. Es gibt einem ein gutes Gefühl, wenn man hilft. Man sieht die Wirkung direkt, spürt die Dankbarkeit. Anders als wenn Du irgendwohin nach Afrika spendest. Die Ärzte in dem Krankenhaus zum Beispiel haben nach einer OP vor Glück geheult, weil sie jemandem helfen konnten. Aber auf der anderen Seite sagte mir auch ein Arzt: Wir machen keine Missionsreisen in die Dritte Welt, wir haben das Elend direkt vor der Haustür und haben hier genug zu tun. Das ist dann schon beeindruckend.“
Helfen Amerikaner anders als wir Deutschen?
„Dass die Amerikaner sich gegenseitig helfen, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie in diesem riesigen Land eher schauen, was hier passiert – sie schauen weniger auf die Welt da draußen. Deshalb spielt der Begriff „Community“, also die Gemeinschaft, eine größere Rolle. „Give where you live“. Und das bedeutet eben nicht unbedingt für etwas Großes spenden, sondern auch etwas Kleines tun. Ich will nicht sagen, dass es das alles in Deutschland nicht gibt, da wird auch viel getan: In Vereinen, Spendenorganisationen… Aber hier ist es eben noch mehr in den Alltag eingewoben: Man ist selbst aktiv. Wir Deutschen haben mehr die Scheckbuchmentalität, wobei ich glaube, dass sich das durch die Flüchtlingskrise ein bisschen verändert hat.“
Glaubst Du, dass manche Menschen sich auch deshalb so stark und sichtbar engagieren, um einen vorbildlichen Eindruck zu machen?
„Natürlich gibt es sicherlich auch welche, die das aus egoistischen Motiven machen: Steuern sparen, sich gut fühlen, eine gute Zeit haben. Aber wenn dazu noch was Gutes bei rum kommt? Warum nicht. Die Amerikaner sehen das eben eher als Win-Win Situation.
Oder runtergebrochen auf meine Nachbarschaft: Irgendein Grund, eine gute Party zu feiern ist immer willkommen und wenn dabei 1500 Dollar für die Schule abfallen – ist doch großartig!“
Spürst Du als hier lebender Ausländer auch einen gewissen Druck, Dich hier stärker sozial zu engagieren?
„Ja! Im ersten Jahr haben meine Frau und ich diese Versteigerung in der Schule erlebt und waren total beeindruckt davon. Wir hatten sogar fast ein schlechtes Gewissen, dass wir nichts beigesteuert hatten. Dann im zweiten Jahr hat meine Frau mit einer Freundin zusammen ein Catering für 400 Leute gemacht. Es war schon ein bisschen so: Okay, alle engagieren sich – ich möchte mich auch engagieren!“
Was können wir Deutschen uns von den Amerikanern abgucken?
„Den „Sense of Community“. Sich verantwortlich fühlen für den Nachbarn. Ich sage nicht, dass es hier in Amerika nur nette Nachbarn gibt – aber es ist schon ein anderes „Wir- Gefühl“. Vor der Flüchtlingskrise hätte ich vielleicht gesagt: Nicht nur Geld spenden, sondern auch was tun. Aber das hat sich geändert: viele Menschen in Deutschland engagieren sich jetzt. Sie kochen für Flüchtlinge oder geben Nachhilfe. Ich würde nicht sagen, dass das hier eine bessere Gesellschaft ist oder dass wir Deutschen das nachahmen müssen. Vieles finde ich auch furchtbar: Ich lebe lieber in einer Gesellschaft, in der die brutalen Auswüchse der Marktwirtschaft abgefedert werden, wo jeder eine Krankenversicherung hat, wo Du nicht so eine krasse Obdachlosigkeit oder Armut hast, wie in manchen Teilen der USA.
Aber das Positive daran ist, es fördert die Eigenverantwortung und den Sinn für Deine Nachbarschaft, Dein Viertel, Deine Straße, Deine Stadt.“
Vielen lieben Dank für dieses Interview, lieber Ingo. Ihr findet Ingo oft im ARD-Fernsehen, aber immer auf Twitter.
inlovewithusfive
Sehr interessant, vielen Dank! Vor allem für die kritische Aufarbeitung und das Hinterfragen dieser durchaus zweischneidigen Kultur des Zurückgebens, wie Herr Zamperoni ja auch reflektiert. Dass Engagement und gesellschaftlicher Einsatz für die Schwächeren der Gesellschaft etwas GUTES ist, daran besteht kein Zweifel. (Und dass diese hier in der BRD durchaus ausgeprägter sein könnten, auch…) Aber gerade die speziellen US-amerikanischen Hintergründe für diese (ja leider überlebensnotwendige) ausgeprägte „giving back“-Kultur sollte man durchaus kritisch sehen. Es herrscht eine ganz andere „ICH bin für mein Leben verantwortlich, nicht mein Land/Staat“-Kultur als bei uns, im Positiven (gegenseitiges Helfen) wie aber auch im Negativen (Krankenversicherungssystem, Mutterschutz, Arbeitnehmerrechte etc) . Für mich hat die US-amerikanische Gesellschaft da oft etwas Gnadenloses: ja: „if you can make it here, you can make it everywhere“ – aber wenn nicht, dann hast und bist Du eben auch verloren. Ich war letzten Monat in San Francisco, und ich habe noch niemals so viele im wahrsten Sinne des Wortes kaputte Typen auf den Straßen gesehen. Die sich vor Deinen Augen die Hose runter ziehen und auf den Gehweg stuhlen – und niemanden hat es interessiert. Jeder ist dort seines eigen (Un)Glückes Schmied.
Ganz ausgeprägt ist das fundraising ja auch im kulturellen Bereich, und auch dort zwiespältig zu bewerten, finde ich. Klar ist es großartig, wenn Familie Rosveldt einen ganzen Theatersaal stiftet, und dann kann der auch gerne nach ihnen benannt sein, warum nicht. Aber Familie Rosveldt beeinflusst dann eben auch, WAS in diesem Saal gezeigt wird. Thema Unabhängigkeit der Kulturschaffenden…spannend!
Janina
Ich bin da ganz bei dir!
Luisa
Mensch Janina, dann nichts wie weg in die USA- ich finde den O-Ton der ganzen Kolumne immer in die selbe Richtung gehend und so langsam wirklich mehr als langweilig.
Vielleicht weniger Gastkolumnen?! Leider wurden die Kommentare hierzu ja entfernt. Und vielleicht kannst du oder deine Gast-Journalistin die Artikel besser Korrekturlesen? Dankeschön.
Ja, ich habe meine eigene Meinung und arbeite selbst in der Verlagsbranche. Brauche keine peinliche Zurechtweisung.
Janina
Warum so aggressiv? Ich schicke dir ein wenig Gelassenheit und Sonne.
jujaaaa
Also in meiner Nachbarschaft helfen wir uns auch alle gegenseitig. Mit Kindern, Garten, bei Krankheit, Problemen..
Das ist völlig normal hier in meinem norddeutschen Dorf! Ich finde man kann bei sich Zuhause mal im kleinen anfangen! Wir veranstalten auch Nachbarschaftsfeste und Flohmarkt und spenden gemeinsam Erlös. Haben aber auch gemeinsam für Flüchtlinge und Kinder in Not gesammelt.
Janina
Liebe Juja,
ja – ich helfe auch gern und viel aus. Wo es eben nur geht. Aber so grundsätzlich ist das im Vergleich zu den USA doch noch etwas anderes. Einfach weil es in den USA kaum Steuern, kein soziales Auffangnetz gibt. Da ist der Bürger einfach viel mehr in der „Pflicht“, fast eine Art Selbsthilfe. Man gibt einfach etwas ab, zurück. Toll wäre es natürlich, wenn die USA ein ähnlich gut funktionieren Sozialsystem hätten wie wir, aber so seltsam es auch klingen mag, ein Großteil der Amerikaner möchte es auch gar nicht. Die wollen zT keinen richtigen Kündigungsschutz, usw. Für mich als Deutsche ist das kaum zu verstehen.
Ganz liebe Grüße
Janina