Meine liebe Elisabeth, Journalistin und wohnhaft in Washington, hat den Wahlkampf begleitet und hautnah miterlebt. In ihren Kolumnen {HIER} berichtet sie echt, ungschönt und meist mit einem zwinkernden Auge über das Leben in den USA. Letzte Woche war es soweit, der neue US-Präsident wurde gewählt. Sein Name: Trump. Dazu nun aber mehr, von Elisabeth.
Amerikas Schicksal:
Donald Trump heißt der neue US-Präsident
Amerika, das zerrissene Land. Wie oft haben wir Journalisten in den vergangenen Monaten und Wochen versucht, dies darzustellen. Wir sind durch das riesige Land gereist, haben mit Trump-Unterstützern, Trump-Gegnern und Clinton-Fans und ihren Skeptikern geredet.
Wir beobachteten sie, die beiden Kandidaten. Berichteten über Trumps verbale Entgleisungen, die irgendwann kaum mehr überraschend zu sein schienen und versuchten auch über die Schattenseiten der Hillary Clinton aufzuklären.
Nach meinem Artikel https://oh-wunderbar.de/2016/10/live-aus-washington-der-amerikanische-wahlkampf/ bekam ich viele Kommentare. Manche Leser waren richtig empört. Clinton sei ja wohl ganz klar die bessere Wahl. Sie wollten nichts hören, von ihren zweifelhaften Taten während ihrer Zeit als Außenministerin. Doch die Realität war diese: die meisten US-Bürger hassten beide Kandidaten. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Und dann entschieden sich die Amerikaner für Donald Trump, wobei hier vielleicht auch ein Blick auf die Zahlen hilft, die Situation einzuordnen. Denn ganze 42 Prozent der Wahlberechtigten gingen nicht wählen. Die Wahlbeteiligung war noch geringer als bei der Wahl 2012, als Obama zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde.
Und eigentlich bekam Hillary Clinton ein gute halbe Millionen mehr Stimmen. Doch durch das System der Wahlmänner, erhielt Trump am Ende mehr Wahlmännerstimmen und gewann somit die Wahl. (Ich habe über das Wahlsystem https://oh-wunderbar.de/2016/11/trump-oder-clinton-der-us-wahlkampf-auf-einen-blick/ geschrieben).
Und so wählten insgesamt lediglich 1/4 aller Amerikaner Trump und machten ihn zum Präsidenten. Viele dieser Wähler leben nicht in den liberalen Großstädten, sie leben in Smalltown Amerika. Manche von ihnen sind arbeitslos, verschuldet, verzweifelt, fühlen sich von den Politikern im fernen Washington vergessen und von Trump verstanden. Dort, wo Hoffnungslosigkeit das tägliche Leben prägen, rennt der Populismus offene Türen ein. Diesen Trend seht ihr ja auch auf der anderen Seite des Atlantiks.
Jetzt werden wieder viele sagen: halt doch mal den Ball flach. Immer diese Panikmache. Dem kann ich nur entgegentreten und einen Journalistenkollegen zitieren: „Anyone who isn’t confused doesn’t really understand the situation“ (Edward R. Murrow).
Als gewählter Präsident wird Donald Trump an seinen Worten und Taten gemessen. Was er im Wahlkampf von sich gab oder tweetete war besorgniserregend. Ich finde, das kann man, nein, das darf man nicht unter den Teppich kehren.
Und ja, ein gewählter Präsident, dem sein Twitter-Account weggenommen wurde, aus Angst er könne weitere Entgleisungen in die Welt tweeten ist für mich erst einmal erwähnenswert. Dieser Mann kann in Zukunft im Alleingang einen Atomschlag befehlen. Das ist dann nicht nur erwähnenswert, sondern aus meiner Sicht auch beunruhigend.
Auf der anderen Seite glaube ich, dass Trump als Präsident in die Mitte rücken wird. Dass dies so sein könnte, zeigte nun auch das gestern veröffentlichte erste TV-Interview mit dem neu gewählten Präsidenten. Von den 11 Millionen illegalen Einwanderern, die er im Wahlkampf noch des Landes verweisen wollte, war keine Rede. Lediglich zwei bis drei Millionen kriminelle illegale Einwanderer möchte er nun deportieren. Die Info, das Präsident Obama genauso viele Einwanderer hat ausweisen lassen, kann Trumps Aussage auf beruhigende Weise relativieren. Doch wenn er tatsächlich gemäßigter auftreten wird, wenn seine Entscheidungen liberaler sind als seine lärmenden Hasspredigten während des Wahlkampfes, wird er sich in den Augen seiner Anhänger ganz schnell „entzaubern“. Wie die dann reagieren, wenn sie spüren, dass ihr Präsident nicht nur „ihr“ Präsident, sondern der von ein paar mehr Bürgern sein will, sein muss – das wird spannend.
Doch, mit meiner Einschätzung kann, will und sollte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Denn, wenn es etwas gibt, was ich bisher sicher weiß, dann die Tatsache, dass nichts sicher ist. Das hat uns dieser einmalige Wahlkampf, die vergangenen eineinhalb Jahre gezeigt. Donald Trump ist unberechenbar. Welchen Weg er gehen wird, werden wir in den kommenden Monaten sehen und begleiten.
Er hat durch seine Sprache, durch seine Beleidigungen etwas an die Oberfläche gespült, was wohl schon eine Weile bei vielen dadrunter brodelte. Das wurde in der Wahlnacht sichtbar und bricht an Tag 1 über das Land.
Da laufen weiße Kinder mit einem Trump-Schild durch die Schule und rufen „White Power“. Ein ausländisch aussehender Mann wird an der Tankstelle angeschrien: „Zeit, dass Du aus diesem Land verschwindest“, ein schwarzer Junge wird in seinem Klassenzimmer beschimpft, er solle wieder zurück gehen und Baumwolle pflücken ( https://twitter.com/i/moments/796417517157830656 ).
Und so ist dieses Land, in dem ich seit über vier Jahren lebe, ein fremdes Land. Ein Land, das so tief zerrissen ist, das mir schwindelig wird. Das entsetzt und erschrickt mich. Und nicht nur ich fühle mich fremd, sondern sogar ein Teil meiner amerikanischen Freunde und Kollegen. Die Stimmung unter ihnen ist gedrückt. Sie trauern um etwas, was verloren zu sein scheint. Das ist sie, die andere Hälfte. Die, die Hillary Clinton entweder vergötterte, oder für das kleinere Übel hielt. Die, die sich für die Wahl ihres Land schämen und nun erstmals Angst vor der Zukunft haben.
Eines steht fest. Die Entscheidung der Amerikaner ist wohl weniger eine Entscheidung als ein Ergebnis. Ein Ergebnis, das weniger Klarheit und mehr Unsicherheit mit sich bringt. Das Land muss zur Ruhe kommen, damit mehr Platz, Zeit und Energie für die Dinge sind, die es nach vorne bringt. Ich hoffe, dass sehen alle so. Alle weißen, farbigen, arbeitslosen, reichen, schwule, heterosexuelle, Frauen, Männer, Republikaner, Demokraten und Nichtwähler – und Donald Trump, der 45. Präsident der USA.
Janina
Toll geschrieben ! Aber auch sehr erschreckend, dass dies alles nicht nur Medienhetze im fernen Europa ist, sondern die Realität in den USA. Innerhalb eines Landes wird ja immer nochmal anders thematisiert als von fremden Medien. Ich hoffe, dass sich die USA auch mit diesem Übel wieder finden kann und die Menschen nicht zu sehr unter Ihm leiden müssen.
Delia
Liebe Elisabeth, ich lese deine Beträge so gerne und freue mich immer, wenn du uns neue Einblicke in den amerikanischen Lifestyle und aktuell in den Wahlwahnsinn gibst. Ich muss sagen, ich bin ein klein wenig froh derzeit nicht in den USA zu sein. Deine Schilderungen und auch die meiner amerikanischen Freunde beunruhigen mich doch zutiefst und ich hoffe irgendwie, dass noch die Kurve bekommen wird und kein Rückschritt erfolgt.
Kerstin
Danke für diesen Beitrag, habe den letzten zur US Wahl schon sehr genossen und finde, du erklärst alles klasse. Gerne mehr davon!