BEZIEHUNGSKISTEN!

Warum es gut ist, nicht immer herunterzuschlucken.
Und warum es manchmal noch viel besser ist, sich zu lösen.

 

…sag nichts, tu nichts, nimm es einfach hin – sonst stehst du nachher noch alleine da!

Noch nie war ich so bei mir und noch nie habe ich meinen Weg so klar gesehen.
Vor allem aber war ich noch nie so stark. Ich hatte noch nie so ein gerades Rückgrat wie heute und niemals zuvor habe ich so offene, deutliche Worte gefunden, wenn es um meine Gefühle oder meine Meinung geht.

Mein Leben lang wollte ich vor allem eines: Nicht auffallen. Nicht anecken. Ich wollte gemocht werden. Ja, allem voran wollte ich, dass man mich mag, dass man mich lieb hat. Und deshalb hab ich mich angepasst. Ich habe Dinge hingenommen. Immer. Auch dann, wenn sie mich eigentlich, ganz tief in meinem Inneren, verletzten. Dann ist das halt so, dachte ich mir dann. Dann schluckst du die Verletzung halt runter. Dann schluckst du die Enttäuschung herunter. Dann schluckst du die Wut herunter. Dann schluck es einfach. Hauptsache diesen Menschen nicht verletzten. Hauptsache, er bleibt. Bloß keinen Anlass geben dafür, dass es unangenehm wird. Schwierig. Angst. Angst, dass ich im schlimmsten Fall allein dastehe. Dass sich dieser Mensch abwendet.

Ich hatte also Angst. Von klein auf.
Ich hatte Angst, verlassen zu werden.
Ich hatte Angst, dass man mich weniger lieb haben würde, wenn ich nicht dieses oder jenes hinnehme oder tue.

Ich hab also gelächelt.
Hab es weg gelächelt.
Hab immer alles weg gelächelt.
Dieses Lächeln wurde zu meiner, mich schützenden, Maske. Dachte ich. Und so lächelte ich. Ich lächelte und lächelte und je schlimmer etwas weh tat, je breiter wurde mein Lächeln. Ich lächelte um mein Leben. Meine Augen aber, meine Augen waren traurig. Sie waren oft leer. Voller Sorge. Voller Angst. Angst vor dem Verlust. Angst davor, etwas falsches zu sagen oder zu tun. Denn, ich wollte nichts verlieren. Auf gar keinem Fall. Ich war dankbar für die kleinen Bröckchen Liebe oder Zuneigung, die man mir hier und da mal zuwarf.
Ich nahm eben das, was ich bekommen konnte. Wenigstens das. Immerhin.
Schluck es einfach runter und sei dankbar. VERDAMMT NOCHMAL!

Obwohl ich wusste, dass das so nicht richtig ist, spielte ich das Spiel mit. Niemand mag große Gefühlsausbrüche, die eventuell auch noch für alle Beteiligten unangenehm sind. Niemand mag es, wenn man Dinge anspricht. Niemand möchte, dass Dinge einfordert werden. Dinge, die einem eigentlich zustehen und die normal sein sollten. Das ist also ein Muster. Ein Muster, das man lernt. Ein Muster, das man so annimmt und welches man irgendwann in Perfektion lebt. Herunterschlucken. Lächeln. Geradeaus laufen.
In mir drin aber, in mir drin hat es gearbeitet. Das hat sich nie eingestellt. All die Ängste, all die Enttäuschungen, ja, auch die Wut – die war da drin. Ich hab innerlich geweint. Hab innerlich geschrien, und ich hab getobt. Aber raus, raus ließ ich das nie. Denn ich wollte ja die Anerkennung, wollte die Liebe, ein „Du bist toll!“, ein „Ich hab dich lieb!“ oder ein „Ich bin stolz auf dich, du machst das klasse!“. Ich schluckte also und hoffte. Hoffte auf diese oder ähnliche Worte. Hoffte auf einen Anruf. Hoffte auf eine Nachricht. Hoffte darauf, dass da jemand einfach mal vor meiner Tür steht. Mich in den Arm nimmt. Nichts. Stattdessen schwamm ich. Lief hinterher. Versuchte. Machte. Tat. Kämpfte um diese Liebe und um diese Anerkennung, die ich so sehr wollte. Die ich brauchte. Dachte ich. Heute kämpfe ich nicht mehr. Es ist vorbei. Ich habe losgelassen.

Ich bin gewachsen. Auch über mich hinaus.
Ich habe gelernt, dass ich gut bin. Dass ich gut genug bin.
Dass ich mich weder verstellen noch „betteln“ muss.
Muss ich nicht. Ich bin richtig. Ich bin wertvoll.

Dieser Prozess, all das zu verstehen, brauchte lange. Ich lasse Enttäuschung zu. Lasse Wut zu. Ich lasse meine Gefühle zu.

Mein Kopf ist freier, mein Herz so viel reiner.
Kein Kloß mehr im Hals.
Kein Stein im Magen.
Keine Wolke im Kopf.

Ich spreche Gefühle aus. Forme sie in Worte. Ich spreche darüber, was mich bewegt. Ich sage es, wenn sich etwas für mich nicht richtig anfühlt. Ich fordere das ein, was mir zusteht. Ich mache keinen Hehl mehr daraus. Ich bin ich. Ich bin es (mir) wert. Ich muss mich nicht verstellen. Und ich will nichts herunterschlucken. Allem voran das: ICH WILL ES NICHT (mehr)!
Und ich tue es auch nicht mehr. Ich habe einen geraden Rücken bekommen. Ich stehe für mich und meine Kinder, stehe für Freunde und andere Menschen ein – wenn ich denke, es ist gerade richtig und wichtig. Vor allem stehe ich für mich ein. Ich kämpfe für mich und die Achtung meiner Gefühle. Ich lächle nicht mehr und weine innerlich.

„Ich finde das aber nicht richtig…!“,
„Ich wünsche mir aber, dass wir darüber sprechen…“.

Das hab ich in der Vergangenheit immer häufiger getan. Dinge angesprochen. Ungeachtet der Gefahr, dass es unangenehm werden könnte. Oder dass ich danach vielleicht sogar etwas verliere. Einen Menschen in meinem Leben. Dass ich meinen Weg dann vielleicht allein weiter gehen muss. Die Zeit hat gezeigt: Ja, muss ich. Leider. Obwohl, „leider und gut so“ in einem. Ich bin aus meiner alten Haut herausgewachsen. Bin über mich hinausgewachsen. Und ich habe für mich beschlossen, dass ich nicht lächeln und schweigen muss. Dass ich das auch gar nicht möchte. Dass ich nicht jeden kleinen, vertröstenden Brocken, den man mir hinwirft, schlucken muss. Dass es weder gesund ist, noch macht es (mich) glücklich.

Einen heißen Minztee halte ich in meinen Händen und blicke aus dem Fenster, als ich etwas sage, was ich so vorher noch nie laut ausgesprochen haben.

„Ich war noch nie so glücklich, wusste noch nie so sicher und genau, was ich eigentlich möchte und erwarte – und obwohl es mir damit so gut geht wie nie, bin ich im Verhältnis ganz schön „allein“. Die Anzahl der Menschen, mit denen ich gemeinsam durchs Leben gehe, ist ganz schön ausgedünnt. Ich habe sie ausgedünnt. Es sind nicht mehr viele Menschen, ich kann sie an zwei Händen abzählen, aber dafür sind es die Menschen, die mir am Herz liegen. Denen ich aufrichtig am Herzen liege. Mehr brauche und möchte ich gar nicht!“

Ich hab mich also befreit. Ich hab mich frei gemacht. Gelöst aus diesem Korsett. Gelöst aus den Mustern.
Sicherlich, das tut auch mal weh. Manchmal schmerzt es auch verdammt doll. Es ist nicht schön und es ist auch nicht leicht, die „rosarote“ Brille abzunehmen und zu begreifen. Zu sehen, dass man manche Menschen in seinem Leben romantisiert hat, ja, gar auf einen Sockel gestellt. Die Brille ist weg, die Wahrheit ist da. Ich sehe sie und ich nehme sie an. Ich sage nicht auf Wiedersehen, ich sage nicht Tschüß – aber ich sage immer häufiger: Ich schlucke nicht mehr hinunter.

Eine Beziehung. Das ist Teamarbeit.
Das ist ein mit- und ein füreinander. Kein „ich nehme und du gibst“.
Das ist, als würden zwei Menschen eine furchtbar kostbare Vase von sehr hohem Wert halten und tragen. Jeder auf einer Seite. Man muss diese Vase mit aller Sorgfalt halten. Man muss sie hegen und pflegen und Acht auf sie geben. Denn nur eine kleine Unachtsamkeit, und sie kann einen Sprung davontragen.
Und hat sie erstmal einen Sprung, dann ist sie beschädigt. Dann ist sie kaputt. Dann ist es schwer, diesen „Sprung“ wieder zu kitten. Das ist ein Balanceakt.
Es braucht Achtsamkeit und ein Bewusstsein dafür. Wertschätzung. Nicht mehr, nicht weniger. Und genau so ist es im Leben mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Es braucht Wertschätzung. Es braucht Achtsamkeit und vor allem bedarf es Arbeit.

 

„Wer nicht in die Welt zu passen scheint, 
der ist immer nahe dran, sich selbst zu finden!“

Hermann Hesse

 

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