So machen Sie aus ihrem Kind einen Boss
– oder besser nicht!

 

„So machen Sie aus Ihrem Kind einen Boss“
und weiter „Mutter von YouTube-Chefin gibt Erziehungs-Tipps“
– lautet die Schlagzeile einer bekannten Zeitung mit vier Buchstaben. 

Als ich diesen Auszug in meinem Feed bei Instagram sehe, halte ich das Bild an und lese die Schlagzeile nochmal.
„So machen Sie aus Ihrem Kind einen Boss“. Aha. Irgendwie bereitet mir dieser eine Satz Unbehagen. Denn, möchte ich mein Kind zu einem „Boss“ machen. Ist das meine Aufgabe. Finde ich das überhaupt gut. Und vor allem: Wie würde mein Kind das finden. 

Ich hole jetzt mal weiter aus. Ein kleiner Schwank samt Umweg aus meinem Leben.
Meine Kindheit war Kindheit. Ich war eigentlich immer draußen. Schlechtes Wetter gab es nicht, nur nicht passende Kleidung. Ihr kennt das. Und wenn ich nicht draußen war, dann lag ich mit einem Buch irgendwo herum (oder ich schaute bei Oma und Opa heimlich das A-Team, McGyver oder sonst irgendwas, was das Nachmittagsprogramm an so richtig trüben Tagen hergab). Und sonst war ich irgendwie immer draußen. Draußen im Garten, draußen auf dem Bolzplatz, draußen im Feld oder im Wald. Immer mit einem Groschen in der Tasche, so für den Notfall, falls ich mal telefonieren müsste. Und mit der Ansage im Gepäck: „Wenn die Laternen angehen, kommst du Heim!“. Punkt.
Ja, ich würde sagen, das war Kindheit. Nix da musikalische Früherziehung. Nix da Ballett. Nix da Lernpläne und noch straffere Tagespläne. Ich hab Judo gemacht. Und ich war viele Jahre in der Jugendfeuerwehr. Und sonst wurde ich dazu angehalten, meine Hausaufgaben gewissenhaft zu machen – inklusive Nachbereitung. Und das wars dann. Das wars an meinen Pflichten. Niemand hat mich gedrängt, niemand hat mich durchgetaktet. Und erst Recht wollte mich niemand zum „Boss“ machen. Stattdessen hörte ich dann später immer wieder {und dann immer häufiger}: Such dir einen SOLIDEN Job. Etwas sicheres. Etwas mit Zukunft. Mach was vernünftiges – werd Bankkauffrau. Wie das halt damals so war. Mit dem Hintergedanken, ein ganzes Leben auch sicher in diesem einem Lehrbetrieb zu bleiben. So war das nämlich damals noch. Meine Großeltern waren der Meinung, ein sicherer (sehr sehr langfristiger) Job, ist ein guter Job. 

Niemand, weder meine Eltern noch meine Großeltern, sagten: Also aus dir muss mal ein Chef werden. Aus dir wird mal was Besonderes. Ne. Stattdessen bekam ich zwei der legendären Eltern-Sätze immer wieder zu Ohren.
„Ohne Fleiß kein Preis“ und noch besser, mein Liebling (und dabei muss ich müde lächeln):
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Ach ja, und dann kam auf diesen hübschen Satz auch direkt immer noch ein anderer, wie aus der Pistole geschossen: „Was man anfängt, bringt man zu Ende“.
Ansage Ende. So war das. 

Ich schaute mich also um. Eine Ausbildung sollte es sein. Denn so haben es, abgesehen von meinem Vater, der studiert hatte, alle in meiner Familie getan. Erst einmal eine Ausbildung. Was Gescheites lernen. Geld verdienen. Ich war mir bezüglich meiner Berufswahl sehr unsicher. Ich schaute mir so einiges an, bewarb mich auf zig Stellen und bekam auch fast überall eine Zusage. Von Köchin über Einzelhandel über Industriekauffrauu und BüKom war alles dabei. Mein Vater sagte damals, schreib so viele Bewerbungen wie nur möglich – das übt. Geh zu so vielen Bewerbungsgesprächen, wie du nur kannst – du wirst aus jedem etwas mitnehmen. Und das tat ich. Damals, was waren das noch für Zeiten, als ich jedes Bewerbungsanschreiben auf Büttenpapier und mit Füller per Hand schrieb. Letztendlich, besuchte ich noch ein letztes Vorstellungsgespräch. Lust hatte ich dazu eigentlich keine mehr, denn ich hatte mich schon (für einen Ausbildungsbetrieb) entschieden. Aber öffentlicher Dienst, naja, ihr wisst, meine Familie war aus dem Häuschen. Weil, DAS könnte der Job sein, der mich MEIN LEBEN LANG begleitet… Ich ging also hin, in Freizeitkleidung und gab mich unverstellt (weil ich die Stelle eh nicht sonderlich wollte…) und bekam sie, die Stelle. Drei Jahre später war ich fertig. Weil: Was man anfängt, bringt man zu Ende. Und weil: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Hach ja. Irgendwann nach der Ausbildung kam die Frage auf in Sachen Fortbildung. Wollt ich nicht. Auch nicht mit der Aussicht auf irgendwas… 

Ok, ich überspringe jetzt ein wenig. Einen Großteil der weiteren Geschichte kennt ihr eh. Ich bekam Anni, ich war mit ihr Zuhause und begann dann, mich beruflich auszuprobieren. Weil ich immer noch nicht wusste, wohin die Reise jobtechnisch gehen sollte. Also arbeitete ich nach dem Ausschlussprinzip. Ich probierte so ziemlich alles aus. Und nur wenige Jobs gefielen mir. Also machte ich dann immer kurzen Prozess: Next! 

Und dann kam der Zeitpunkt, wo sich bei mir was veränderte. Ich wollte doch studieren. Nachhaltig beeindruckt hat mich da meine damalige Chefin. Eine Juristin. Knallhart, emanzipiert, klug für zehn und eine Frau, die die Ärmel hochkrempelte. Kurzum: Für mich lange ein ganz großes Vorbild. Und so schrieb ich mich ein. Jura. Der erste Tag, die Begrüßung mit den Worten:

„Sie sind Deutschlands zukünftige Elite! Sie werden Führungspositionen besetzen!“
Plus noch ein paar weitere sehr klischeehafte Parolen. So oder sehr sehr ähnlich waren die Worte des Dekans an diesem Tag. Und ich saß da und war mir meiner Sache plötzlich doch nicht mehr ganz so sicher. Elite? Führungspositionen? Ich hatte nie groß (oder bewusst) drüber nachgedacht, aber beides bin ich nicht und beides möchte ich nicht sein. Ich strebe einfach nicht danach. Und das war der Moment, wo mir das das erste Mal bewusst wurde. 

Ich strebe nicht danach, ein Boss zu sein.
Ich bin weder Elite (noch möchte ich das sein), noch möchte ich Führungspositionen besetzen. 

Das bin ich nicht, das liegt mir nicht, das möchte ich einfach nicht. Das können andere sogar viel besser. 

Sicherlich, es gibt sie, die Menschen, die da total geeignet sind und darin aufgehen. Die extrem gut sind in ihrem Job und die gut führen können. Die mitreißen. Die taff sind. Beeindruckend. Überdurchschnittlich smart, engagiert, geradlinig, aufgeräumt und was weiß ich sind. Menschen, die es schaffen, Verantwortung für gleich viele andere Menschen zu tragen – als Vorgesetzter. Wahnsinn, ja. Bewundernswert. Find ich immer wieder beeindruckend, wenn ich jemanden kennenlernen darf, der genau so tickt. Und der das kann. So ganz anders als ich eben. Es gibt einfach Menschen, die können gut „anführen“ bzw. „führen“ und es gibt Menschen wie mich, die können das nicht. Oder wollen es nicht. Und das ist ok so. Das ist gut so.

„Es kann nicht nur Häuptlinge geben,
es braucht auch (glückliche) Indianer!“, 

Las ich als Antwort auf die Schlagzeile der Zeitung mit den vier Buchstaben. Und ich denke, das trifft es ziemlich gut. Es kann nicht nur Häuptlinge geben. Es kann nicht jeder ein Boss sein. Und es will auch nicht jeder einer sein.

Und ich möchte aus meinen Kindern keinen Boss machen. Das steht mir gar nicht zu. Das ist nicht meine Aufgabe als Mutter.
Stattdessen möchte ich sie einfach bestärken – In ihrer Entwicklung, in ihrem Werdegang. Egal wie der ausschauen mag. Sie sollen einfach sie selbst sein können. Sie sollen glücklich sein. Ach später, mit ihrer Jobwahl. 

Dann gibt es da immer noch einen Satz, den lese und höre ich in Bezug auf Kinder immer häufiger: „Du kannst alles erreichen“.

Und auch hier muss ich leider ein kleiner Elefant im Porzellanladen sein. Denn nein, leider können wir alle auch nicht alles erreichen. Wir können immer unser Bestes geben (und das sollten wir auch tun, egal wann und egal wo), aber es ist schlechtweg nicht alles möglich und machbar. Es gibt immer Grenzen – egal welcher Natur. Und auch das ist ok (und ganz normal). 

„So machen Sie aus Ihrem Kind einen Boss!“. 

Ich sage: „Lassen Sie es sein, tun Sie es nicht, versuchen Sie es erst gar nicht!“.
Denn wer möchte das denn schon für sein Kind? Stattdessen sollten wir Sie Kind sein lassen. Fördern? Ja, sicherlich – in einem gesunden Maße. Unterstützen? Immer! Bestärken? Ja, auch das unbedingt. Aber alles andere entwickelt sich von ganz allein. Wenn wir da sind. Wenn wir Sicherheit schenken. Wenn wir offen sind, aufmerksam und ihnen zuhören. Sie bestärken. Und irgendwann wird sich zeigen, wo unsere Kinder hingehören. Es wird deutlich werden, welche Talente sie haben, welche Stärken und welche Schwächen. Und sie werden ihren Weg gehen. Von ganz allein und mit aller Selbstverständlichkeit.