Deutschland – USA, von Fettnäpfchen und Unterschieden

 

Elisabeth hat eine neue Kolumne für euch. Und ich darf stolz verkünden, die liebe Elisabeth bekommt ab sofort sogar ihre eigene Kategorie auf „Oh Wunderbar“, unter der sie uns regelmäßig mit ihren tollen Texten versorgen wird. Ich freue mich riesig. Elisabeth ist Journalistin und lebt mir ihrer kleinen Tochter in Washington. Ihre letzten beiden Artikel erschienen HIER  {arbeiten, bis die Fruchtblase platzt} und HIER {Mutter, Mutter, Vater, Kind}.

„Die Deutschen sind die Schlimmsten“ – Trinkgeld in den USA

 

Die Deutschen sind die Schlimmsten. Das Gute ist, die meisten Deutschen wissen nicht, dass sie die Schlimmsten sind. Denn sie wissen nicht, was sie tun. 😉 Und deshalb sind diese Zeilen eine Art kulturelle Aufklärung – besonders für all diejenigen, die bald hierher nach Amerika kommen, um Urlaub zu machen. Ja, ihr Lieben, viele Amerikaner halten uns für extrem geizig. Wenn ihr als vielleicht demnächst in den USA in einem Café oder Restaurant sitzt und der Kellner die Rechnung bringt, vielleicht denkt ihr dann an diesen Artikel. 


Die Amerikaner sind ein sehr höfliches Volk. Das „Trinkgeld“ jedoch ist hierzulande viel mehr als nur eine nette Geste. Denn von diesem Geld kaufen sich Kellner und Bedienungen nicht etwa ein extra T-Shirt oder gehen davon selbst ab und zu essen. Nein, sie müssen davon ihre Miete, ihre Krankenversicherung, sämtliche Klamotten und ihre Lebensmittel kaufen. Das Trinkgeld (auf Englisch „Tip“) ist in den USA also keine kleine Aufmerksamkeit, sondern schlicht ihr Lebensunterhalt. 


Das System könnte kaum kapitalistischer sein. Der Restaurantinhaber gewährt den Kellnern nur einen Hungerlohn, ein eher symbolisches Gehalt. Das variiert von Bundesstaat zu Bundesstaat nur geringfügig. In der US-Hauptsadt liegt der gesetzlich vorgeschriebene Stundensatz für eine Servicekraft bei 2,77 Dollar. Das darüber hinaus verdiente Trinkgeld darf sie behalten und genau deshalb sind Kellner so stark darauf angewiesen. 


Allgemein gilt die Regel: 

Warst du als Kunde mit dem Service zufrieden, gibst Du 18 Prozent Trinkgeld, gefiel er Dir besonders gut, spendierst Du 20 Prozent, warst Du unzufrieden „tippst“ Du dem Kellner 15 Prozent – weniger gilt eigentlich als no-go!


Von alledem nichts ahnend, zahlte ich 2008 bei einem USA Urlaub in einem Restaurant die Rechnung. Bei circa 50 Doller gab ich 5 Dollar Trinkgeld, was ich recht angemessen fand. Die Bedienung war außerordentlich aufmerksam – ich war als Gast zufrieden. Als meine Begleitung und ich aufstanden und gingen, rief uns die Bedienung zurück. Ob denn alles in Ordnung gewesen sei oder sie etwas besser machen könne. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte und empfand ihr Verhalten als ziemlich aufdringlich und deplatziert. Acht Jahre später verstehe ich sie. Wenn ihr ein Kunde  kein Trinkgeld gibt, ist es zum einen Ausdruck erheblicher Unzufriedenheit – es kann aber auch schnell schmerzliche finanzielle Folgen haben. 


Vier Jahre meines Lebens habe ich bis jetzt in Amerika verbracht. Ich arbeite hier, lebe hier und auch wenn ich Vieles kritisch sehe (Berufskrankheit!), mag ich das Land und seine Menschen. Dinge, die ich anfangs noch ungewohnt fand, fallen mir mittlerweile kaum auf. Aber an die Sache mit Trinkgeld kann ich mich nicht gewöhnen.  Und ich sage es ganz ehrlich: Ich bin hin- und hergerissen. Zum einen rege ich manchmal ganz schön auf, dass ich bei jedem Besuch im Restaurant zwar eine Rechnung bekomme, aber eigentlich immer 18 Prozent draufschlagen muss. Ein Abendessen mit Wein, Nachtisch und Espresso, laut Rechnung 85 Doller inklusive Mehrwertsteuer, kostet mich bei einem Tip von rund 15 Dollar schon wieder 100 Doller. Und eigentlich ist es doch eine Frechheit: Die Kunden und nicht die Restaurantinhaber finanzieren die Arbeitskraft. Maximaler Profit bei minimalen Lohnkostenvorteil. Amerika, das Paradies für Ausbeuter. 


Auf der anderen Seite gibt mir dieses System als Kunde jedoch die Möglichkeit, den Service tatsächlich zu bewerten. Ich muss eine halbe Stunde auf die Karte warten, suche die ganze Zeit nach der Bedienung, um noch ein zweites Glas Wein zu bestellen, werde ich unfreundlich abgefertigt? Alles klar: „There goes the Trinkgeld“. 


Was hat man in Deutschland für Möglichkeiten? „Entschuldigen Sie, aber wie Sie mit mir reden geht gar nicht. Lassen Sie bitte mal Ihren Chef kommen!.. Ach der ist nicht da?.. Wie ärgerlich“. Für mich. Option 2: Ich gebe im Café statt einem Euro nur 20 Cent Trinkgeld. In den USA habe ich das Gefühl, dass der Bedienung tatsächlich an meinem Wohlbefinden gelegen ist. Natürlich gibt es hier auch unfreundliche Kellner, aber der überwiegende Teil ist natürlich äußerst höflich, aufmerksam und auf Zack. Denn von diesen Eigenschaften hängt Tag für Tag direkt ab, was sie verdienen. Und natürlich davon, wieviele Deutsche bei Ihnen einkehren. 😉

Kommentare

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  • Anonym
    22 Jun 2016 Antworten

    Ich finde die Gastkolumnen echt immer sehr gut. Ich verstehe nicht, warum es immer Leute gibt, die ständig rumnörgeln. Dann lest es doch nicht oder lest Beiträge anderer oder gar keine.

  • Anonym
    24 Jun 2016 Antworten

    Ich finde es unerfreulich, anonym im Plural zu schreiben. Also ich gehöre nicht zu diesem wir, welche keine Gastkolumnen mögen. Ich empfinde sie als Bereicherung und lese sie sehr gern, wie eben diese hier auch.

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