Der 11. September – Rückkehr

Heute habe ich eine neue Gastkolumne für euch. Gedanken von Alu, 3-fach Mama und u. a. Gesicht von dem Blog „Grosse Köpfe„. Worte, die ich zu gut nachvollziehen kann. Worte, die mir unter die Haut gingen und mir tatsächlich feuchte Augen bescherten.

9/11 – Ich kann nicht gut schlafen

1 Uhr nachts, ich schaue auf den Wecker. Ich kann nicht schlafen. Ich schlafe immer schlecht wenn Jemand aus unserer Familie auf Reisen ist. Es macht mich nervös nicht alle in einer Stadt zu wissen und einfach nur so zu warten und zu hoffen dass nichts passiert.

Erst seitdem das große Kind auch das erste Mal allein verreist ist, kann ich  die vielen Wiedersehen mit meiner Mutter ganz anders betrachten. Mit weiten Armen stand sie jedesmal am Bus, am Zug, oder am Flughafen wenn ich aus dem Ferienlager, dem Englischcamp, oder von einer Radtour kam. Nicht selten schrieb sie mir in meine Ferien, erzählte mir vom Alltag und ich antwortete so gut ich konnte. Nun bin ich es die sich Gedanken macht über die erste Reise des Kindes. Während das Tochterkind völlig ruhig ihrem ersten Ferienlager Abenteuer entgegensah, schwindete mein Mut. War es schon richtig sie mit gerade mal sieben Jahren allein reisen zu lassen? Würde sie sich wohlfühlen, durchsetzen können und mich nicht allzu vermissen? Ich sprach mit dem Mann darüber und er wischte meine Zweifel davon. Das Kind selbst hatte die Reise eingefordert und freute sich darauf wie ein Kullerkeks, meine Zweifel würden es nur selbst verunsichern. Recht hatte er. Beim Abschied tat ich fröhlich und beschwingt, auf dem Rückweg nach Hause sendete ich gleich die erste Postkarte an das Tochterkind ab und erhielt nach kurzer Zeit Antwort.

Ich denke, dass das mit meinem 11. September zu tun hat. Beim Thema 11. September werden immer alle ganz still und dann wissen sie noch ganz genau wo sie waren, damals. Ich weiß das auch, ich war in einem Flugzeug über dem Atlantik. Noch wenige Stunden vorher war ich in San Francisco gestartet und  der Pilot zeigte uns die Zwei Türme aus der Luft und dann das. Ich komme wieder von meiner ersten großen Reise. Ganz allein hatte ich einige Zeit in den Staaten verbracht, es hat mich bestärkt in meinem Wunsch nach einem Vernetzungsberuf. Wir landen in Paris. Ich werde mit einem Schild in Paris erwartet, jeder Passagier wird das. Keiner darf allein den inneren Bereich des Flughafens verlassen und wir werden direkt zum Flieger nach Berlin gebracht.

Ich bin so müde, dass ich einfach von einem extra Service ausgehe, erst der Sitznachbar im Flieger nach Berlin macht mich darauf aufmerksam, dass sämtlich Monitore im Abflugbereich ausgeschaltet waren und keinerlei Nachrichten liefen. Und dann ist da diese Ansage vom Piloten „Heute ist ein sehr trauriger Tag“, sagt er in sein Mikrofon bevor wir starten.

Angekommen in Berlin werde ich von meinem damaligen Freund erwartet. Er steht mit einer Rose am Flughafen (sehr ungewöhnlich). Bereits damals schalten viele Menschen ihr Handy an. Er bringt mich erstmal nach Hause zu meinen Eltern. Unterwegs erzähle ich ihm von meinem Flug und mir fällt gar nicht auf, dass sein Radio ausgeschaltet bleibt. Er wird unterwegs immer wieder von Menschen auf seinem Handy angerufen, was er beflissentlich ignoriert. Zu Hause wartet meine Mutter auf mich, sie fällt mir weinend in die Arme. Ich bin irritiert. Warum denn? Und dann sehe ich Sie, ich sehe die Bilder und ich höre die Nachrichten. Alles scheint still zu stehen, während mich meine Familie in die Arme schließt. Es ist ein sehr ergreifender Moment und ich bin so im Jetlag, dass ich erst Tage später erfassen kann warum mein Handy vor SMS und Anrufen nicht mehr still steht. Ja, ich bin damals zurückgekehrt und ich habe die Angst und die Liebe in den Augen meiner Mama gesehen.

Genauso geht es mir heute wenn Einer von uns verreist ist. Ich kann nicht gut schlafen, ich werde wach und frage mich ob es allen gut geht. Nun ist es also das Tochterkind. Es ist schon seit zwei Wochen unterwegs und die letzten Tage vor Ihrer Rückkehr sind immer sehr schlimm. Ich vermisse sie sehr und habe Angst. Ich habe Angst, dass eines Tages einem meiner Kinder und Lieben etwas geschehen könnte.

3 Uhr, ich bin immer noch wach.

Das Kind soll in 9 Stunden wieder ankommen. Ich versuche noch etwas zu schlafen und döse immer wieder auf um auf den Wecker zu schauen.

8 Uhr, endlich aufstehen. Wir frühstücken und mein Mann spricht mich auf die Anspannung an. Es ist kaum noch zu ertragen, ich bin grantig und würde am liebsten jetzt schon selbst das Kind abholen fahren.

11 Uhr, wir fahren zum Parkplatz. K2 bummelt und ich bin genervt. Was wenn der Bus eher kommt als erwartet und ich unser großes Mädchen verpasse? Sie soll auf keinen Fall allein dort stehen müssen.

11:45 Uhr wir sind angekommen. Eine ganze Horde aufgeregter Eltern steht schon vor Ort. In einigen Gesichtern sieht man Freude und Anspannung, in anderen Gesichtern zeichnet sich Langeweile ab.

12 Uhr. Der Bus sollte nun da sein. Ich recke meinen Hals in die Höhe und halte Ausschau. Kein Bus, kein K1.

12:30Uhr, langsam werde ich richtig nervös. Das reicht mir nun aber langsam. Der Mann ist mit dem Sohn bereits Schokolade kaufen gegangen, ich habe eiskalte Hände.

12:47 Uhr In der Ferne kann man den Reisebus bereits erspähen. Ich habe es ganz genau erkannt. Der Bus biegt auf den Parkplatz ein und die Türen öffnen sich.

 

Strahlend steigt mein großes Mädchen aus dem Bus und ich falle ihm weinend in die Arme. „Mama, reicht jetzt“, flüstert sie und schiebt mich weg. „Ohhh ja…Schätzchen“ murmele ich und wische mir meine Tränchen ab. Ich hab meine Familie wieder. Alle sind komplett. Auch der Mann und K2 begrüßt das Tochterkind und gemeinsam ziehen sie das Gepäck Richtung S-Bahn. Ich möchte dieHand meiner Tochter halten und nicht mehr loslassen in diesen Momenten. Noch in der S-Bahn erzählt uns K1 von ihrer tollen Reise und ihren Plänen nächstes Jahr wieder dorthin zu fahren. Mein Mädchen wird groß und ich werde wohl noch viel mehr schlaflose Nächte in meinem Leben zu erwarten haben, als bis jetzt vorauszusehen ist.

Alu
Zu „Grosse Köpfe“:

„Hier schreibt ein Elternpaar gemeinsam über das wahre, wundervolle, bunte und chaotische Leben mit Kindern. Alu arbeitet, schreibt und spricht viel. Konsti: arbeitet, schreibt an seinem Doktor und fotografiert viel. Die Tochter K1 kam 2007 dazu und setzt auf die schönen Künste, der Sohn K2 kam 2010 und tendiert zum Bastlerdasein. K3 erblickte im August das Licht der Welt.

 

 

Kommentare

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
  • JesSi Ca
    7 Sep 2016 Antworten

    mir stockt der Atem… dieser Tag wird uns wohl alle in Erinnerung bleiben. Ich kann nicht mal nach so vielen Jahren ohne einen Tränenkampf an diesen Tag denken und weiß ganz genau, wo ich war, was ich tat und was ich fühlte….

    Alu, ich bin so froh – wirklich froh das es Dir gut geht!
    JesSi

  • Dani von Gingered Things
    8 Sep 2016 Antworten

    Jetzt ist es wieder da… das Gefühl, welches man für 364 Tage im Jahr ganz gut verdrängen kann… dieses Gefühl, dass ich damals hatte als ich in der Dominikanischen Republik vorm Fernseher saß und einfach nicht begreifen konnte was da gerade passiert. Ich hab nicht an meine Familie gedacht. Ich war so für mich, mit meinem Schock. Jetzt wo ich selbst Kinder habe, kann ich mir vorstellen wie gern meine Eltern mich gehört hätten.
    So viele Jahre sind vergangen, aber das Gefühl ist in uns allen tief verankert und jeder Zeit abrufbar… ich hoffe die Welt und die Milliarden Menschen die auf ihr leben werden irgendwann zur Ruhe kommen und einfach nur glücklich sein…

    Danke für deine Zeilen.

  • Silke
    8 Sep 2016 Antworten

    Ach ja… der 11. September. Es weiß wirklich jeder wo er an diesem Tag war. Ich war damals erst 14 Jahre alt und hab das alles noch gar nicht richtig verstanden, bzw. kann man es doch selbst heute noch nicht begreifen. Ein trauriger Tag.

    Mittlerweile bin ich auch Mama einer eineinhalb jährigen Tochter und ich möchte mir noch gar nicht ausmalen mit welchen Sorgen ich noch geplagt sein werde.

  • Silke
    12 Sep 2016 Antworten

    Ein Tag der die Welt maßgeblich beeinflusst. Noch heute beeinflussen seine Nachwehen unser Handeln. Früher fühlten wir uns sicher und heute ist eine ständige Bedrohung spürbar. Wir werden den Tag nie vergessen!

  • Kinderlachen und warme Sommerabende – Freitagslieblinge
    21 Jan 2017 Antworten

    […] liebe Alu von Große Köpfe hat ihre Gedanken niedergeschrieben wie es ihr geht, wenn ihre Kinder verreisen. Und warum sie sehr schnell unruhig […]

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