BEZIEHUNGSKISTEN!

Warum es gut ist, nicht immer herunterzuschlucken.
Und warum es manchmal noch viel besser ist, sich zu lösen.

 

…sag nichts, tu nichts, nimm es einfach hin – sonst stehst du nachher noch alleine da!

Noch nie war ich so bei mir und noch nie habe ich meinen Weg so klar gesehen.
Vor allem aber war ich noch nie so stark. Ich hatte noch nie so ein gerades Rückgrat wie heute und niemals zuvor habe ich so offene, deutliche Worte gefunden, wenn es um meine Gefühle oder meine Meinung geht.

Mein Leben lang wollte ich vor allem eines: Nicht auffallen. Nicht anecken. Ich wollte gemocht werden. Ja, allem voran wollte ich, dass man mich mag, dass man mich lieb hat. Und deshalb hab ich mich angepasst. Ich habe Dinge hingenommen. Immer. Auch dann, wenn sie mich eigentlich, ganz tief in meinem Inneren, verletzten. Dann ist das halt so, dachte ich mir dann. Dann schluckst du die Verletzung halt runter. Dann schluckst du die Enttäuschung herunter. Dann schluckst du die Wut herunter. Dann schluck es einfach. Hauptsache diesen Menschen nicht verletzten. Hauptsache, er bleibt. Bloß keinen Anlass geben dafür, dass es unangenehm wird. Schwierig. Angst. Angst, dass ich im schlimmsten Fall allein dastehe. Dass sich dieser Mensch abwendet.

Ich hatte also Angst. Von klein auf.
Ich hatte Angst, verlassen zu werden.
Ich hatte Angst, dass man mich weniger lieb haben würde, wenn ich nicht dieses oder jenes hinnehme oder tue.

Ich hab also gelächelt.
Hab es weg gelächelt.
Hab immer alles weg gelächelt.
Dieses Lächeln wurde zu meiner, mich schützenden, Maske. Dachte ich. Und so lächelte ich. Ich lächelte und lächelte und je schlimmer etwas weh tat, je breiter wurde mein Lächeln. Ich lächelte um mein Leben. Meine Augen aber, meine Augen waren traurig. Sie waren oft leer. Voller Sorge. Voller Angst. Angst vor dem Verlust. Angst davor, etwas falsches zu sagen oder zu tun. Denn, ich wollte nichts verlieren. Auf gar keinem Fall. Ich war dankbar für die kleinen Bröckchen Liebe oder Zuneigung, die man mir hier und da mal zuwarf.
Ich nahm eben das, was ich bekommen konnte. Wenigstens das. Immerhin.
Schluck es einfach runter und sei dankbar. VERDAMMT NOCHMAL!

Obwohl ich wusste, dass das so nicht richtig ist, spielte ich das Spiel mit. Niemand mag große Gefühlsausbrüche, die eventuell auch noch für alle Beteiligten unangenehm sind. Niemand mag es, wenn man Dinge anspricht. Niemand möchte, dass Dinge einfordert werden. Dinge, die einem eigentlich zustehen und die normal sein sollten. Das ist also ein Muster. Ein Muster, das man lernt. Ein Muster, das man so annimmt und welches man irgendwann in Perfektion lebt. Herunterschlucken. Lächeln. Geradeaus laufen.
In mir drin aber, in mir drin hat es gearbeitet. Das hat sich nie eingestellt. All die Ängste, all die Enttäuschungen, ja, auch die Wut – die war da drin. Ich hab innerlich geweint. Hab innerlich geschrien, und ich hab getobt. Aber raus, raus ließ ich das nie. Denn ich wollte ja die Anerkennung, wollte die Liebe, ein „Du bist toll!“, ein „Ich hab dich lieb!“ oder ein „Ich bin stolz auf dich, du machst das klasse!“. Ich schluckte also und hoffte. Hoffte auf diese oder ähnliche Worte. Hoffte auf einen Anruf. Hoffte auf eine Nachricht. Hoffte darauf, dass da jemand einfach mal vor meiner Tür steht. Mich in den Arm nimmt. Nichts. Stattdessen schwamm ich. Lief hinterher. Versuchte. Machte. Tat. Kämpfte um diese Liebe und um diese Anerkennung, die ich so sehr wollte. Die ich brauchte. Dachte ich. Heute kämpfe ich nicht mehr. Es ist vorbei. Ich habe losgelassen.

Ich bin gewachsen. Auch über mich hinaus.
Ich habe gelernt, dass ich gut bin. Dass ich gut genug bin.
Dass ich mich weder verstellen noch „betteln“ muss.
Muss ich nicht. Ich bin richtig. Ich bin wertvoll.

Dieser Prozess, all das zu verstehen, brauchte lange. Ich lasse Enttäuschung zu. Lasse Wut zu. Ich lasse meine Gefühle zu.

Mein Kopf ist freier, mein Herz so viel reiner.
Kein Kloß mehr im Hals.
Kein Stein im Magen.
Keine Wolke im Kopf.

Ich spreche Gefühle aus. Forme sie in Worte. Ich spreche darüber, was mich bewegt. Ich sage es, wenn sich etwas für mich nicht richtig anfühlt. Ich fordere das ein, was mir zusteht. Ich mache keinen Hehl mehr daraus. Ich bin ich. Ich bin es (mir) wert. Ich muss mich nicht verstellen. Und ich will nichts herunterschlucken. Allem voran das: ICH WILL ES NICHT (mehr)!
Und ich tue es auch nicht mehr. Ich habe einen geraden Rücken bekommen. Ich stehe für mich und meine Kinder, stehe für Freunde und andere Menschen ein – wenn ich denke, es ist gerade richtig und wichtig. Vor allem stehe ich für mich ein. Ich kämpfe für mich und die Achtung meiner Gefühle. Ich lächle nicht mehr und weine innerlich.

„Ich finde das aber nicht richtig…!“,
„Ich wünsche mir aber, dass wir darüber sprechen…“.

Das hab ich in der Vergangenheit immer häufiger getan. Dinge angesprochen. Ungeachtet der Gefahr, dass es unangenehm werden könnte. Oder dass ich danach vielleicht sogar etwas verliere. Einen Menschen in meinem Leben. Dass ich meinen Weg dann vielleicht allein weiter gehen muss. Die Zeit hat gezeigt: Ja, muss ich. Leider. Obwohl, „leider und gut so“ in einem. Ich bin aus meiner alten Haut herausgewachsen. Bin über mich hinausgewachsen. Und ich habe für mich beschlossen, dass ich nicht lächeln und schweigen muss. Dass ich das auch gar nicht möchte. Dass ich nicht jeden kleinen, vertröstenden Brocken, den man mir hinwirft, schlucken muss. Dass es weder gesund ist, noch macht es (mich) glücklich.

Einen heißen Minztee halte ich in meinen Händen und blicke aus dem Fenster, als ich etwas sage, was ich so vorher noch nie laut ausgesprochen haben.

„Ich war noch nie so glücklich, wusste noch nie so sicher und genau, was ich eigentlich möchte und erwarte – und obwohl es mir damit so gut geht wie nie, bin ich im Verhältnis ganz schön „allein“. Die Anzahl der Menschen, mit denen ich gemeinsam durchs Leben gehe, ist ganz schön ausgedünnt. Ich habe sie ausgedünnt. Es sind nicht mehr viele Menschen, ich kann sie an zwei Händen abzählen, aber dafür sind es die Menschen, die mir am Herz liegen. Denen ich aufrichtig am Herzen liege. Mehr brauche und möchte ich gar nicht!“

Ich hab mich also befreit. Ich hab mich frei gemacht. Gelöst aus diesem Korsett. Gelöst aus den Mustern.
Sicherlich, das tut auch mal weh. Manchmal schmerzt es auch verdammt doll. Es ist nicht schön und es ist auch nicht leicht, die „rosarote“ Brille abzunehmen und zu begreifen. Zu sehen, dass man manche Menschen in seinem Leben romantisiert hat, ja, gar auf einen Sockel gestellt. Die Brille ist weg, die Wahrheit ist da. Ich sehe sie und ich nehme sie an. Ich sage nicht auf Wiedersehen, ich sage nicht Tschüß – aber ich sage immer häufiger: Ich schlucke nicht mehr hinunter.

Eine Beziehung. Das ist Teamarbeit.
Das ist ein mit- und ein füreinander. Kein „ich nehme und du gibst“.
Das ist, als würden zwei Menschen eine furchtbar kostbare Vase von sehr hohem Wert halten und tragen. Jeder auf einer Seite. Man muss diese Vase mit aller Sorgfalt halten. Man muss sie hegen und pflegen und Acht auf sie geben. Denn nur eine kleine Unachtsamkeit, und sie kann einen Sprung davontragen.
Und hat sie erstmal einen Sprung, dann ist sie beschädigt. Dann ist sie kaputt. Dann ist es schwer, diesen „Sprung“ wieder zu kitten. Das ist ein Balanceakt.
Es braucht Achtsamkeit und ein Bewusstsein dafür. Wertschätzung. Nicht mehr, nicht weniger. Und genau so ist es im Leben mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Es braucht Wertschätzung. Es braucht Achtsamkeit und vor allem bedarf es Arbeit.

 

„Wer nicht in die Welt zu passen scheint, 
der ist immer nahe dran, sich selbst zu finden!“

Hermann Hesse

 

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So machen Sie aus ihrem Kind einen Boss
– oder besser nicht!

 

„So machen Sie aus Ihrem Kind einen Boss“
und weiter „Mutter von YouTube-Chefin gibt Erziehungs-Tipps“
– lautet die Schlagzeile einer bekannten Zeitung mit vier Buchstaben. 

Als ich diesen Auszug in meinem Feed bei Instagram sehe, halte ich das Bild an und lese die Schlagzeile nochmal.
„So machen Sie aus Ihrem Kind einen Boss“. Aha. Irgendwie bereitet mir dieser eine Satz Unbehagen. Denn, möchte ich mein Kind zu einem „Boss“ machen. Ist das meine Aufgabe. Finde ich das überhaupt gut. Und vor allem: Wie würde mein Kind das finden. 

Ich hole jetzt mal weiter aus. Ein kleiner Schwank samt Umweg aus meinem Leben.
Meine Kindheit war Kindheit. Ich war eigentlich immer draußen. Schlechtes Wetter gab es nicht, nur nicht passende Kleidung. Ihr kennt das. Und wenn ich nicht draußen war, dann lag ich mit einem Buch irgendwo herum (oder ich schaute bei Oma und Opa heimlich das A-Team, McGyver oder sonst irgendwas, was das Nachmittagsprogramm an so richtig trüben Tagen hergab). Und sonst war ich irgendwie immer draußen. Draußen im Garten, draußen auf dem Bolzplatz, draußen im Feld oder im Wald. Immer mit einem Groschen in der Tasche, so für den Notfall, falls ich mal telefonieren müsste. Und mit der Ansage im Gepäck: „Wenn die Laternen angehen, kommst du Heim!“. Punkt.
Ja, ich würde sagen, das war Kindheit. Nix da musikalische Früherziehung. Nix da Ballett. Nix da Lernpläne und noch straffere Tagespläne. Ich hab Judo gemacht. Und ich war viele Jahre in der Jugendfeuerwehr. Und sonst wurde ich dazu angehalten, meine Hausaufgaben gewissenhaft zu machen – inklusive Nachbereitung. Und das wars dann. Das wars an meinen Pflichten. Niemand hat mich gedrängt, niemand hat mich durchgetaktet. Und erst Recht wollte mich niemand zum „Boss“ machen. Stattdessen hörte ich dann später immer wieder {und dann immer häufiger}: Such dir einen SOLIDEN Job. Etwas sicheres. Etwas mit Zukunft. Mach was vernünftiges – werd Bankkauffrau. Wie das halt damals so war. Mit dem Hintergedanken, ein ganzes Leben auch sicher in diesem einem Lehrbetrieb zu bleiben. So war das nämlich damals noch. Meine Großeltern waren der Meinung, ein sicherer (sehr sehr langfristiger) Job, ist ein guter Job. 

Niemand, weder meine Eltern noch meine Großeltern, sagten: Also aus dir muss mal ein Chef werden. Aus dir wird mal was Besonderes. Ne. Stattdessen bekam ich zwei der legendären Eltern-Sätze immer wieder zu Ohren.
„Ohne Fleiß kein Preis“ und noch besser, mein Liebling (und dabei muss ich müde lächeln):
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Ach ja, und dann kam auf diesen hübschen Satz auch direkt immer noch ein anderer, wie aus der Pistole geschossen: „Was man anfängt, bringt man zu Ende“.
Ansage Ende. So war das. 

Ich schaute mich also um. Eine Ausbildung sollte es sein. Denn so haben es, abgesehen von meinem Vater, der studiert hatte, alle in meiner Familie getan. Erst einmal eine Ausbildung. Was Gescheites lernen. Geld verdienen. Ich war mir bezüglich meiner Berufswahl sehr unsicher. Ich schaute mir so einiges an, bewarb mich auf zig Stellen und bekam auch fast überall eine Zusage. Von Köchin über Einzelhandel über Industriekauffrauu und BüKom war alles dabei. Mein Vater sagte damals, schreib so viele Bewerbungen wie nur möglich – das übt. Geh zu so vielen Bewerbungsgesprächen, wie du nur kannst – du wirst aus jedem etwas mitnehmen. Und das tat ich. Damals, was waren das noch für Zeiten, als ich jedes Bewerbungsanschreiben auf Büttenpapier und mit Füller per Hand schrieb. Letztendlich, besuchte ich noch ein letztes Vorstellungsgespräch. Lust hatte ich dazu eigentlich keine mehr, denn ich hatte mich schon (für einen Ausbildungsbetrieb) entschieden. Aber öffentlicher Dienst, naja, ihr wisst, meine Familie war aus dem Häuschen. Weil, DAS könnte der Job sein, der mich MEIN LEBEN LANG begleitet… Ich ging also hin, in Freizeitkleidung und gab mich unverstellt (weil ich die Stelle eh nicht sonderlich wollte…) und bekam sie, die Stelle. Drei Jahre später war ich fertig. Weil: Was man anfängt, bringt man zu Ende. Und weil: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Hach ja. Irgendwann nach der Ausbildung kam die Frage auf in Sachen Fortbildung. Wollt ich nicht. Auch nicht mit der Aussicht auf irgendwas… 

Ok, ich überspringe jetzt ein wenig. Einen Großteil der weiteren Geschichte kennt ihr eh. Ich bekam Anni, ich war mit ihr Zuhause und begann dann, mich beruflich auszuprobieren. Weil ich immer noch nicht wusste, wohin die Reise jobtechnisch gehen sollte. Also arbeitete ich nach dem Ausschlussprinzip. Ich probierte so ziemlich alles aus. Und nur wenige Jobs gefielen mir. Also machte ich dann immer kurzen Prozess: Next! 

Und dann kam der Zeitpunkt, wo sich bei mir was veränderte. Ich wollte doch studieren. Nachhaltig beeindruckt hat mich da meine damalige Chefin. Eine Juristin. Knallhart, emanzipiert, klug für zehn und eine Frau, die die Ärmel hochkrempelte. Kurzum: Für mich lange ein ganz großes Vorbild. Und so schrieb ich mich ein. Jura. Der erste Tag, die Begrüßung mit den Worten:

„Sie sind Deutschlands zukünftige Elite! Sie werden Führungspositionen besetzen!“
Plus noch ein paar weitere sehr klischeehafte Parolen. So oder sehr sehr ähnlich waren die Worte des Dekans an diesem Tag. Und ich saß da und war mir meiner Sache plötzlich doch nicht mehr ganz so sicher. Elite? Führungspositionen? Ich hatte nie groß (oder bewusst) drüber nachgedacht, aber beides bin ich nicht und beides möchte ich nicht sein. Ich strebe einfach nicht danach. Und das war der Moment, wo mir das das erste Mal bewusst wurde. 

Ich strebe nicht danach, ein Boss zu sein.
Ich bin weder Elite (noch möchte ich das sein), noch möchte ich Führungspositionen besetzen. 

Das bin ich nicht, das liegt mir nicht, das möchte ich einfach nicht. Das können andere sogar viel besser. 

Sicherlich, es gibt sie, die Menschen, die da total geeignet sind und darin aufgehen. Die extrem gut sind in ihrem Job und die gut führen können. Die mitreißen. Die taff sind. Beeindruckend. Überdurchschnittlich smart, engagiert, geradlinig, aufgeräumt und was weiß ich sind. Menschen, die es schaffen, Verantwortung für gleich viele andere Menschen zu tragen – als Vorgesetzter. Wahnsinn, ja. Bewundernswert. Find ich immer wieder beeindruckend, wenn ich jemanden kennenlernen darf, der genau so tickt. Und der das kann. So ganz anders als ich eben. Es gibt einfach Menschen, die können gut „anführen“ bzw. „führen“ und es gibt Menschen wie mich, die können das nicht. Oder wollen es nicht. Und das ist ok so. Das ist gut so.

„Es kann nicht nur Häuptlinge geben,
es braucht auch (glückliche) Indianer!“, 

Las ich als Antwort auf die Schlagzeile der Zeitung mit den vier Buchstaben. Und ich denke, das trifft es ziemlich gut. Es kann nicht nur Häuptlinge geben. Es kann nicht jeder ein Boss sein. Und es will auch nicht jeder einer sein.

Und ich möchte aus meinen Kindern keinen Boss machen. Das steht mir gar nicht zu. Das ist nicht meine Aufgabe als Mutter.
Stattdessen möchte ich sie einfach bestärken – In ihrer Entwicklung, in ihrem Werdegang. Egal wie der ausschauen mag. Sie sollen einfach sie selbst sein können. Sie sollen glücklich sein. Ach später, mit ihrer Jobwahl. 

Dann gibt es da immer noch einen Satz, den lese und höre ich in Bezug auf Kinder immer häufiger: „Du kannst alles erreichen“.

Und auch hier muss ich leider ein kleiner Elefant im Porzellanladen sein. Denn nein, leider können wir alle auch nicht alles erreichen. Wir können immer unser Bestes geben (und das sollten wir auch tun, egal wann und egal wo), aber es ist schlechtweg nicht alles möglich und machbar. Es gibt immer Grenzen – egal welcher Natur. Und auch das ist ok (und ganz normal). 

„So machen Sie aus Ihrem Kind einen Boss!“. 

Ich sage: „Lassen Sie es sein, tun Sie es nicht, versuchen Sie es erst gar nicht!“.
Denn wer möchte das denn schon für sein Kind? Stattdessen sollten wir Sie Kind sein lassen. Fördern? Ja, sicherlich – in einem gesunden Maße. Unterstützen? Immer! Bestärken? Ja, auch das unbedingt. Aber alles andere entwickelt sich von ganz allein. Wenn wir da sind. Wenn wir Sicherheit schenken. Wenn wir offen sind, aufmerksam und ihnen zuhören. Sie bestärken. Und irgendwann wird sich zeigen, wo unsere Kinder hingehören. Es wird deutlich werden, welche Talente sie haben, welche Stärken und welche Schwächen. Und sie werden ihren Weg gehen. Von ganz allein und mit aller Selbstverständlichkeit. 

 

 

 

Foto von pixababy.com

 

MEIN KIND TRÄGT BUNT, NA UND?!
Farben sind für alle da

„Wie kann man sein Kind nur so rumlaufen lassen… Das sieht fürchterlich aus!
Wie aus der Kleiderspende, schade und dann bekommst du noch ein weiteres Kind!“

Ein Kommentar einer Frau, die unter einem meiner Bilder den Kleidungsstil meiner Tochter kritisiert. Weil eben alles an ihr bunt ist. Eine pinke Mütze, eine Strickjacke in Regenbogenfarben und ihr heiß geliebter pinker Paw Patrol – Schal. Eben all ihre Lieblingssachen in nur einem Bild. Sicherlich, ich selbst würde es {heute als erwachsene Frau} so auch nicht tragen. Und ja, die Mütze bereitet mir nahezu jedes Mal einen kleinen Lachanfall – weil sie eben ist wie sie ist, knallbunt (und so gar nicht mein Geschmack). Und da sind wir schon mittendrin, es muss mir auch nicht gefallen. Denn mir ist nur eines wichtig: Meine Kinder sollen sich entfalten können und wenn sie eben meinen „bunt, bunt, bunt sind alle meine Kleider….“, dann sind sie eben bunt. Sehr gern sogar. Trist und grau wird das verdammte Leben noch früh genug. Und wenn ich unsere Gesellschaft so betrachte, wie sie immer mehr verroht, dann sehe ich nicht grau sondern tiefschwarz.

Mein Kind trägt also fast immer bunt. Es trägt bunt, weil es tragen darf, was es möchte. Mein Kind liebt farbenfrohe Kleidung – und auch wenn es vielleicht nicht mein Geschmack ist, so darf es tragen, was es möchte. Weil es sich entfalten soll. Es muss sich entfalten dürfen. Das ist sie doch, die Kindheit. Geprägt von Abenteuer- und Entdeckungslust, bunt, laut, so voller Spiel und Freiheit. Ich möchte meinem kleinen Kind nicht schon in seiner Kindheit die Möglichkeit zur freien Entfaltung rauben. Warum auch?! Ich möchte meine Kinder nicht in Kleidung zwängen, die ihnen nicht gefällt. Ich werde einen Teufel tun und sie in piekfeinen weißen Zwirn zwingen und vor eine Wand stellen, damit auch ja alles für die Menschen im Netz adrett und perfekt wirkt. Ich bin nämlich kein Hochglanz-Magazin. Hier spielt das Leben. Ich bringe meine Kinder morgens gekämmt und sauber in die Kita und wenn ich sie abhole, sind sie fast immer beides nicht mehr. Weder sauber, noch gekämmt. Dann sehen sie aus wie das pure Leben. Schmutzige Wangen, angemalte Hände, wilde Haare, das T-Shirt mit Flecken vom Mittagessen. Man sieht, dass sie den Tag über aktiv waren und Spaß hatten. Und genau so ist es richtig. Der Ernst des Lebens geht schon früh genug los!

Statt meinen Kindern bunte Kleidung zu verbieten, aus Angst, dass es irgendjemanden nicht passen könnte {merkt ihr, wie absurd?}, möchte ich nämlich viel mehr etwas anderes: Glückliche Kinder. Kinder, die sich frei fühlen und ihre Umwelt und sich selbst entdecken können. Vor allem aber möchte ich Kinder, die sich einer Sache ganz sicher sein können: Liebe und Sicherheit. Ich möchte sie bestärken und werde sie in ihrer Entwicklung immer unterstützen. Mein Job ist es, ihnen Liebe zu schenken. Ich begleite sie auf ihrem Weg des Wachsens. Ich lebe ihnen Empathie und Respekt vor und gehe so auch mit ihnen um.

Jeden Tag lege ich am Abend Kleidung heraus. Verschiedene Variationen und ich kann mir sicher sein, Mimi wählt bunt, pink oder Prinzessin (Tüll). Am liebsten alles gemixt. Ja, meine Güte, dann ist das so. Dann steht sie da und sagt, wie schön es ausschaut und ich freue mich, dass sie eben weiß, was sie schön findet und das völlig frei (und unbedarft) ausleben kann.

 

„…und dein armer Junge läuft schon in rosa Sachen rum!“

Oh nein, stimmt. Rosa an einem Jungen. Skandal. Das geht ja auch wirklich gar nicht. Willst du den denn umbringen?!
Wie schrieb mir vor wenigen Monaten erst eine andere Dame:

Du machst den noch schwul und dann wird er dich hassen!

Also von vorn. Eine rosa Strumpfhose an einem kleinen Jungen, gerade einmal ein Jahr alt, triggert {zum Glück nur sehr wenige} erwachsene Frauen im Netz so sehr, dass sie der Meinung sind, ein Junge könnte dadurch schwul werden, ich wäre schuld daran und er würde mich für sein späteres „Schwul sein“ hassen. Da möchte man doch meinen, das wäre ein {ganz schön} schlechter Scherz. April, April. Aber nein, das meinen diese Damen der Schöpfung ernst. Zum Glück wurde ihnen in der Kindheit niemals etwas Blaues angezogen, sonst wären sie wohlmöglich noch lesbisch geworden. Auch hier: Skandal.

Aber jetzt mal ehrlich.

Farben sind für alle da!

Wenn ein kleiner Junge, in diesem Fall meiner, eine rosa Strumpfhose seiner Schwester trägt, sehe ich daran nichts Verwerfliches. Liegt einfach daran, dass gerade keine andere Strumpfhose zur Verfügung stand {hallo Wäscheberge, ich komme kaum hinterher} und die Kinder eben auch Sachen auftragen. Hallo Ersparnis in Sachen Geld und Ressourcen. Aber selbst, wenn unser Junge jetzt größer wird und sich die pinke Mütze seiner großen Schwester wünscht {die er übrigens anhimmelt}, dann wird er die tragen dürfen. Natürlich. Da muss ich nicht überlegen. Was ist eigentlich mit Henry, der auch manchmal ein rosa Hemd trägt?! Oh weh, führe ich eine Scheinehe. Ist der eigentlich auch schwul und führt mit mir nur ein Doppelleben?!

Und wisst ihr, egal, welche sexuelle Orientierung meine Kinder haben oder haben werden, es ist für mich völlig unrelevant. Jede Liebe ist eine Liebe. Die Liebe ist frei! Und ich als Mutter möchte auch nur eines: Glückliche Kinder. Deshalb sind hier heute und später alle Partnerinnen und Partner herzlich willkommen.

Menschen, die so denken, wie die Kommentatorin, die haben {meiner Meinung nach} etwas im Leben grundsätzlich nicht verstanden. Die wissen nicht worum es geht. Was es bedeutet, Kind zu sein und sein zu dürfen. Und vor allem haben sie auch etwas Entscheidendes nicht mitbekommen: Einen offenen Geist und damit ein offenes Weltbild. Aber genau das braucht es für diese Welt, Menschen mit einem offenen Geist und einem warmen Herzen.

 

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Zurück in meine Kindheit…

„Mama, weißt du noch, wie du mich früher zum einschlafen immer ganz fest in meiner Bettdecke gewickelt hast?“, fragte mich Anni vor kurzem. Ja, daran erinnere ich mich noch gut. Sehr gut sogar. „Das war immer so schön, unser Ritual!“, sagte sie weiter. Ja, das war eines unserer alltäglichen Rituale. Das gemeinsame Lesen und im Anschluss habe ich sie ganz feste in ihre kuschelige Bettdecke gehüllt. Das brauchte sie immer, um sich sicher und wohl zu fühlen. Und dann habe ich sie gefragt, was ihr am heutigen Tag am besten gefallen hat. Das mache ich übrigens noch heute jeden Abend. Im Anschluss habe ich ihr gesagt, wie lieb ich sie eigentlich hab. Nämlich bis zur Sonne und zurück, nach Marokko, Island, nach Kanada über China bis zu uns… Sie schaute mich dann an und freute sich. Manchmal erwiderte sie das Spiel und sagte mir, wie lieb sie mich haben würde und zählte dabei so ziemlich jedes Land auf, das sie kannte… Kindheit.

Wenn ich an meine Kindheit denke, dann sind da diese schönen Sommertage im Garten. Der Garten meiner Großeltern war den ganzen Sommer über immer mein Ort des Glücks. Da war ich so frei und glücklich. Den ganzen Tag habe ich herumgetollt, gespielt, gematscht, hab gebastelt, Blumen gerupft oder saß bei einem der vielen Nachbarn im Garten. Erst am Abend zum schlafen bin ich wieder rein. (mehr …)

Ihr Lieben, heute gibt es eine Gastkolumne von Lisa, die uns bittere Tränen in die Augen getrieben hat. Ich saß da, las den Text und war wie versteinert. Erschüttert. Liebe Lisa, danke dir, dass du uns deine Geschichte erzählst. Danke!

Ich wurde darauf hingewiesen, dass dieser Text triggern kann. Deshalb hier auf Wunsch, eine Trigger-Warnung!


Kinder brauchen Schutz!
Ich werde niemals Hand an mein Kind legen. Nie!

Als ich schwanger wurde, habe ich oft darüber nachgedacht, wie meine Erziehung so sein wird. Ob ich streng sein werde, ob ich die coole Mutter „von nebenan“ sein werde, oder ob ich alternativ an das Ganze herangehe. 
Eins stand aber von Anfang an fest. Ich werde niemals Hand an mein Kind legen. Nie!

Seit ich mich erinnern kann, ist meine Mama mit uns, meinem jüngeren Bruder und mir, allein gewesen. Natürlich gab es immer wieder einen Mann in ihrem Leben, einige davon hat sie geheiratet, aber wir drei waren immer eine feste Instanz, egal was kam. Wir drei gegen den Rest der Welt. Sie war cool und lustig. Man konnte mit ihr wilde Sachen machen und später auch ernste Gespräche über fast jedes Thema führen. Wir stehen auch heut noch immer zusammen, egal was kommt. 

Um sich und uns alles bieten zu können, hat meine Mama immer gearbeitet. Die meiste Zeit als Kellnerin in Restaurants. Da sie dadurch nachts oft erst sehr spät Heim kam, mussten wir früh selbstständig werden, aber das war ok so. 

Als ich in der ersten Klasse war, habe ich zum ersten Mal realisiert, dass meine Mutter anders war, als die anderen Mütter. Wir hatten ein Lesebuch, die „Tobi-Fibel“, mit der wir lesen lernten. Als Hausaufgabe hatten wir oft auf, die Seite mit dem neu erlernten Buchstaben zu lesen. Meine Mutter wollte mehr. So kam es, dass ich nach nur einem halben Jahr das gesamte Buch lesen konnte. Auf jeder 2. Seite waren kleine, dunkelrote Flecken zu sehen und ich hatte in der Zeit oft Kopfschmerzen, aber niemand hat etwas bemerkt. Auch die vielen Flecken an Armen und Beinen haben niemanden dazu gebracht, neugierig zu werden. Nie wurden wir gefragt, warum wir alle AG’s belegt hatten, die angeboten wurden. In der 7. Klasse kam ich nie vor 17 Uhr nach Haue. Nie. Alle dachten, dass ich ehrgeizig seiund so viel Wissen vermittelt bekommen haben wollte, wie nur irgendwie ging. Ich wollte aber einfach nur nicht nach Hause. An Karneval haben mein Bruder und ich uns am liebsten gegenseitig für das Fest in der Schule verkleidet, nachdem ich in dem einem Jahr meinen Ohrring und ein Stückchen meines Ohrs im Waschbecken schwimmen sah. 
Häufig haben mir die Wangen gebrannt, die Ohren geklingelt oder jedes Körperteil hat wehgetan. Niemals ist jemand auf die Idee gekommen, dass das Mädchen, das so laut lacht und so viel redet, Probleme hat. Meine Freunde wollten nur nicht so gern zu mir nach Hause kommen, weil meine Mutter immer so laut wäre. So einschüchternd irgendwie. 

Die Ferien waren für uns immer am schlimmsten. Früh aufstehen, damit man nicht aus seinem Rhythmus kommt, und Schulranzenkontrolle standen auf der Agenda. Jedes Blatt, das nicht vollständig ausgefüllt war, bedeutete soweit wie möglich auf der Bank nach hinten rutschen, damit sie nicht so schnell an einen ran kam. 
Später dann, als sie meinen Stiefvater heiratete, und dieser drei Kinder mit in die Ehe brachte, hieß es dann für mich als Älteste oft, so schnell wie nur möglich den Ärger auf mich ziehen, damit die 4-jährige nicht so leiden muss. Oft hat das gewirkt. Leider nicht immer. Mit 17 habe ich dann beschlossen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Widerworte geben würde. Das habe ich. An einem Sonntagmorgen im August. Ich habe in einem Altersheim in der Küche gearbeitet, um ein bisschen Geld zu verdienen, und wir haben uns gestritten. Meine Mutter hat sich über eine erfundene Missetat meinerseits aufgeregt und das ganze Haus mit ihrem Gebrüll geweckt. Ich wusste, dass sie lügt und hab es ihr ins Gesicht gesagt. Noch nie in meinem Leben habe ich Angst und Stolz gleichzeitig so intensiv gespürt wie an diesem Tag. Ich musste mit einem blauen Auge arbeiten gehen. An diesem Tag bin ich ausgezogen. In eine Wohngruppe unter der Leitung des Jugendamtes. Ich hätte keine bessere Entscheidung treffen können. Meine Mutter sah das lange nicht so, und jedes Mal, wenn ich versucht habe, ihr entgegen zu kommen, hat sie mich mehr und mehr verletzt. Lange Zeit habe ich versucht, diese Frau zu hassen, für das, was sie uns angetan hat. Dafür, dass sie nie da war. Dafür, dass sie ihre zwei kleinen Kinder mit einem Babysitter alleine lässt, der ihre Tochter anfässt und sie ihr nicht geglaubt hat, als sie mit einem blutigen Nachthemd vor ihr stand. Dafür, dass sie mich gezwungen hat, lesen zu lernen und einen Weg einzuschlagen, der niemals meiner gewesen wäre. 

Nach einigen Therapiestunden habe ich aber erkannt, dass ich sie nicht hassen kann. Weil sie meine Mutter ist. Und das auch immer sein wird. Trotzdem haben wir mehrere Jahre nicht wirklich miteinander gesprochen, nur über oberflächliches. Sie lud nach wie vor ihren Ballast gerne bei mir ab, ich hörte aber einfach nicht mehr richtig zu. 

Seit ich Mutter bin, hat sich unser Verhältnis mehr als gebessert. Sie ist eine tolle Mutter und eine Klasse Oma. Dennoch reden wir zur Zeit nicht miteinander. Wir haben uns gestritten. Nach 22 Jahren kann ich endlich meine Frau stehen und eine Diskussion mit meiner Mutter führen, ohne Angst davor zu haben, wie ich morgen die nächsten blauen Flecke kaschiere oder wie man Schürfwunden versorgt. 

Eltern, die ihre Kinder misshandeln, egal ob psychisch oder physisch, haben die Kontrolle verloren. Jedes Mal, wenn sie die Hand gegenüber ihres Kindes erheben, geht ein kleines bisschen Seele des Kindes verloren. Sie sterben innerlich, weil sie nicht verstehen, wie der Mensch, dem sie am meisten vertrauen können sollten, der sie beschützen sollte, ihnen das antun kann. 

Kinder brauchen Schutz!

Kinder entwickeln sich zu dem Menschen, zu dem sie gemacht werden. Weniger starke Kinder werden zu einem Abbild ihrer Eltern. Leider passiert das viel zu oft, weil sie häufig keine Hilfe bekommen und niemals aus diesem Leben ausbrechen können. Andere, leider die wenigsten, schaffen es, zu einem Erwachsenen heranzuwachsen, zu dem sie als Kind aufgesehen hätten.

Ich bin niemals untätig, wenn ich sehe, dass einem Kind Leid angetan wird. Ich hätte mir gewünscht, jemand hätte mir als Kind geholfen. 

Jetzt als Mutter sitze hier und beobachte meine eigene Tochter. Sie wird Ende des Monats ein Jahr alt und ist alles für mich. Für uns. Sie strahlt und lacht. Sie sagt Mama und Papa. Jedes Mal wenn ich  das Wort Mama aus ihrem Mund höre, schlägt mein Herz schneller und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, ihr jemals etwas zu tun. Ihr Vater hat mich gerettet, als es mir so schlecht ging, dass ich dachte, das ich nie wieder aufwachen möchte. Er hat mir gezeigt, dass das Leben lebenswert ist und teilt seine Ansichten mit mir. Er wusste lange Zeit nicht, wie schlimm das wirklich war, was ich erlebt habe. Vor einiger Zeit habe ich ein Buch gelesen, das mich so aufgewühlt hat, dass er mich gebeten hat, ihm alles zu erzählen, damit er mich verstehen kann. Wir haben geredet. Lange. 

Ohne ihn wäre ich nicht hier und ohne ihn, wäre ich nur ein halb so guter Mensch, da bin ich mir sicher. Ich liebe ihn sehr. Und mein Baby. Oh ja, sie liebe ich ganz besonders.