Meine liebe Kollegin Anna arbeitet mit Kindern und führt außerdem den Blog „kinderwärts – Richtung Beziehung, Wertschätzung & Vertrauen„, auf dem sie Themen in einer ganz wundervollen und liebevollen Weise aufarbeitet und anspricht. Nicht selten lese ich ihre Artikel und überdenke Dinge, bekomme einen Anstoß. Ihr solltet unbedingt einmal bei ihr reinlesen. Ich verspreche nicht zu viel, wenn ich sage: Sie und ihre Beiträge sind super!

Bei Instagram findet ihr Anna HIER.

Wenn ein neues Geschwisterkind geboren wird…

 

… ist das ein großes Glück und ein wahnsinniges Wunder und Geschenk für alle.

 

Für alle?

Naja… sagen wir so: Meistens nicht für alle. Für ältere Geschwister ist es oft ein nicht sooo freudiges Ereignis. Viele wissen, wenn ein neues Familienmitglied geboren wird, müssen wir auch besonders die älteren Geschwisterkinder im Blick haben. Aber wie erleben denn die älteren Kinder diese Situation konkret? Welche Gefühle haben sie? Und wie können wir gut mit ihnen umgehen?

Direkt nach der Geburt eines Geschwisterkindes, sind meist noch alle Kinder begeistert, lassen sich von der Freude der Eltern anstecken und es zeigt sich noch keine Eifersucht. Allerdings machen sich bei den Geschwisterkindern erste zwiespältige Gefühle breit, wenn sie das Neugeborene in den Armen von Mama oder Papa sehen. Vielleicht verlaufen auch die ersten Wochen noch ohne ernsthafte Eifersuchtsreaktionen und die Eltern atmen erleichtert auf, dass sich alles gut eingependelt hat.

Leider muss ich euch an dieser Stelle enttäuschen. Ganz ohne Eifersucht läuft es eigentlich selten ab! Und oft werde ich nach einigen Wochen und Monaten von Eltern nach Rat gefragt, wenn dann ein verändertes Verhalten bei dem älteren Kind auftritt.

Die Geschwistereifersucht wird sich an irgendeiner Stelle zeigen: Zu Hause, im Kindergarten, im Sportverein, in der Schule, beim Schlafen oder beim Essen.

Dieses Eifersuchtsgefühl ist absolut berechtigt und gehört zu einem normalen kindlichen Verhalten!!

 

Alles sortiert sich neu

Wenn das erste Kind in eine Paarbeziehung hineingeboren wird, erweitert sich die Partnerschaft durch das Kind und alles muss sich neu strukturieren. Plötzlich hat man eine neue Rolle in seinem Leben, ist Mutter oder Vater. Alles wird einmal kräftig durchgeschüttelt und nach einer Weile findet sich jede oder jeder in ihrem oder seinem neuen „Bereich“ zurecht und hat seinen neuen Platz. Ihr seid nun eine Familie 🙂 und euer Kind hat einen festen, sicheren Platz in dieser Familie.

Jedes weitere Kind kommt nun in diese bereits bestehende Familie. Jetzt muss das erste Kind zur Seite rücken. Sein Platz wird natürlich nicht ersetzt (wenn es gut läuft), aber es muss sich bewegen, denn das zweite Kind muss seinen Platz in der Familie finden. Das ist schon ein enormer Prozess für ein Kind. Nun wird wieder alles heftig durchgerüttelt und geschüttelt. Die gesamte Konstellation verändert sich erneut und alle Familienmitglieder müssen sich wieder neu in ihre Rollen einfinden und sich sortieren.

Wie erlebt das Kind diese Zeit?

Tauchen wir ein bisschen ein, in die Gefühlswelt eures älteren Kindes.

Die elterliche Aufmerksamkeit kommt nun auch noch einem anderen kleinen Menschen zu. Das löst Verlustgefühle aus und kann zu tiefer Verunsicherung führen. Von jetzt auf gleich wird es nicht mehr so gesehen wie vorher. Das kann Angst auslösen und auch Wut und Aggression.Die Gefühle können sehr heftig sein und dies kann die Kinder zusätzlich verunsichern, da sie diese Emotionen vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben fühlen. Angesichts der Tatsache, dass wir als Erwachsene schon oft mit negativen Gefühlen überfordert sind, können wir uns vorstellen, dass es für kleine Kinder einem Weltuntergang gleicht.

 

Sie spüren auch eine innere Ambivalenz: Auf der einen Seite fühlen sie Wut und wollen dieses kleine Geschöpf nicht mehr dabei haben. Auf der anderen Seite spüren sie geschwisterliche Zuneigung und merken auch, wie sehr sich die Eltern wünschen und freuen, wenn sie lieb zu dem neuen Geschwisterkind sind. Kinder wollen uns Erwachsenen immer gefallen und kooperieren und so fühlen sie oft eine innere Zerrissenheit, die sich auch in Überforderung und Wutausbrüchen äußern kann.

Diese Aggression kann sich an verschiedenen Stellen zeigen, im Kindergarten, anderen Kindern gegenüber oder gegenüber den Eltern. Oft wird aber auch das neue Geschwisterkind direkt gekniffen, gehauen, gebissen, beworfen etc. Manchmal äußert sich auch Liebe und Hass in ein und demselben Moment: Das ältere Kind gibt dem Baby ein Küsschen und beißt in der nächsten Sekunde kräftig zu.

Was wäre wenn… 

Wenn dir das immer noch alles zu theoretisch ist Stell dir einfach vor, dein Partner, kommt nach Hause und sagt:

„Hey Schatz, ich habe jetzt eine Neue! Aber du bist immer noch mein Schatz und ich liebe dich nach wie vor über alles, aber meine Neue ist halt auch mega toll und super hübsch und da sie noch neu ist, braucht sie jetzt etwas mehr von meiner Aufmerksamkeit. Übrigens zieht sie auch hier ein und sie schläft auch bei uns im Bett, ok? Und in einigen Monaten würde sie auch gerne deine Schminke und deine Klamotten benutzen und es wäre echt lieb von dir, wenn du alles mit ihr teilst. Bis dahin kannst du bitte ihre Wäsche mitwaschen und auch bügeln und einfach Verständnis haben, wenn wir öfters mal Zeit zu zweit brauchen, weil sie ist ja noch so neu und unerfahren und findet sich ohne mich hier nicht zurecht.“ 

Ungefähr so fühlt sich euer Kind.

 

Ältere Kinder 

Ältere Kinder sind sich kognitiv natürlich viel mehr bewusst, über die Veränderung die ansteht, außerdem ist ihnen die Erwartungshaltung des Umfelds klar: „Alle wollen, dass ich dieses Baby toll finde und eine tolle große Schwester/ toller großer Bruder bin.“

Sie werden ihre Eifersucht wahrscheinlich nicht so äußern, wie kleinere Kinder. Aber auch sie erleben eine Verunsicherung und spüren die Umstrukturierung und vielleicht sogar den Druck des Umfeldes. Sie ziehen sich vielleicht zurück, verändern ihr Essverhalten oder sind in der Schule anders drauf.

 

Wie reagieren wir? 

Vor allem bei direkter Aggression gegen das Neugeborene, werden wir selbst hektisch, wütend, unbeholfen oder traurig und reagieren dann hart und konsequent mit Strafen usw. Das ist absolut verständlich.

Klar ist: Das neugeborene Kind muss geschützt werden. Aber: Wir können es unaufgeregt schützen und vorausschauend Situationen gestalten.

Ihr dürft und sollt euch klar positionieren und sagen, dass ihr nicht wollt, dass das Kind beißt, haut etc.

Wenn ihr jedoch mit Vorwürfen, schimpfen und Strafen reagiert, bestätigt sich das Gefühl bei dem Kind, dass es ungeliebt ist und eure Ablehnung bestätigt sie dann darin.

 

Verständnis haben und eine neue Haltung entwickeln  

Es ist wichtig, sich klar darüber zu werden, wie es eurem ersten Kind geht. Versucht euch einzufühlen und zu sehen, welch enorme Aufgabe es zu bewältigen hat: Eine neue Rolle finden, neue Gefühle kennen lernen, eine hormonell veränderte Mama haben ;), ständig Besuch erleben, der das neue Geschwisterkind sehen will, ein schreiendes Baby in der Nähe, und und und.

Wenn ihr euch darüber bewusst seid, wird diese Haltung euer Handeln bestimmen, da bin ich sicher!

Reagiert besonders liebevoll, signalisiert eurem (tollen ersten) Kind, dass es geliebt ist.

Habt viel Körperkontakt mit ihm.

Redet mit ihm darüber, welche Gefühle es hat. So lernen Kinder auch Gefühle zu benennen und mit ihnen umzugehen und dass diese Gefühle ok sind und da sein dürfen (aber auch, dass es eben nicht ok ist zu hauen).

Wenn es zum Beispiel folgende Situation gibt: Euer Baby liegt auf dem Boden und das ältere Kind beißt es oder ist sauer und hat gekniffen oder gehauen, dann wäre unsere erste Reaktion, dass Baby hochzunehmen, um es zu schützen. Wir können aber auch einfach das ältere Kind auf den Arm nehmen, somit schützen wir genauso das Baby und geben dem älteren Kind das, was es braucht: Nähe und Zuwendung und die Gewissheit: du bist geliebt und wichtig trotz des neuen Geschwisterkindes.

Diese veränderte Blickrichtung ändert oft schon sehr viel.

Dennoch: Der Alltag ist anstrengend und die ersten Wochen und Monate sind zwar besonders schön, aber auch besonders zehrend. Deswegen versucht euch zu entlasten und in eurem Clan Unterstützung zu organisieren. Dabei ist es wichtig, dass ihr eben nicht nur die älteren Geschwisterkinder an Oma, Opa, Freunde & Co übergebt, sondern auch das Baby, so dass ihr Zeit und kleine Oasen-momente (so wie „früher“) mit euren älteren Kindern erleben könnt!!

Ich wünsche euch alles Liebe, falls eine Familienerweiterung ansteht. Bei Janina ist es ja nicht mehr allzu lang hin. 🙂

Wenn ihr schon mehrere Kinder habt, berichtet doch gerne davon, wie es euch und euren Kindern ergangen ist. Bei Fragen, meldet euch gerne bei mir.

Anna

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Einige Gedanken habe ich aus „Babyjahre“ von Remo Largo und „Was unsere Kinder brauchen“ von Katia Saalfrank aufgegriffen. Beide Bücher kann ich sehr empfehlen.

Kommentare

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare
  • Nadine Karaiskos
    26 Apr 2017 Antworten

    Meine zwei Jungs sind 21 Monate auseinander. Der Kleine ist jetzt 6 Monate alt und ich muss sagen, wir hatten, ob man es glaubt oder nicht, noch nie eine Eifersuchts-Situation. Ich schätze das wirklich sehr, ich habe in meinem Umfeld schon ganz andere Fälle mitbekommen.
    Ich kann es selbst manchmal kaum begreifen, aber der Große liebt den Kleinen abgöttisch seit der ersten Minute, ist richtig in die Rolle als großer Bruder reingewachsen und hatte Gott sei Dank, keinerlei Probleme mit der Umstellung o.ä. .
    Zwischen den beiden ist es einfach unglaublich harmonisch. Sie lachen mit und übereinander.
    Ich hoffe, es wird auch so bleiben ❤

    • Anna
      27 Apr 2017 Antworten

      Liebe Nadine, das ist schön zu hören!! Ihr habt ihn bestimmt gut begleitet und so musste er keine Verlustängste haben. Je jünger das ältere Kind ist, desto weniger Eifersucht gibt es auch oft. Es kann natürlich sein, dass sich das zu einem späteren Zeitpunkt nochmal ändert. Aber wie gesagt, dass ist völlig normal.
      Alles Liebe für dich und euch!!
      Anna von Kinderwärts 🙂

  • Carolin
    27 Apr 2017 Antworten

    Meine beiden Söhne sind 26 Monate auseinander und heute 7 und 9 Jahre alt. Ich erinnere mich jedoch noch gut daran als die Eifersucht bei uns „angekommen“ ist. Wir haben zunächst gedacht: Wow, das klappt ja super, alles prima, der Grosse liebt den Kleinen abgöttisch, schläft weiterhin durch, entwickelt sich toll als grosser Bruder. Als der jüngere Sohn dann in die „Aufrechte“ ging, sprich sich überall hochgezogen hat und alleine sitzen konnte, da fing der Älterer auf Spielplätzen und Eltern-Kind-Gruppen an andere Kinder zu beissen. Wir waren schockiert und in unserem Nichtwissen und in unserer Hilflosigkeit in dieser Situation haben wir eine Kleinkindberaterin in unserem Bezirk kontaktiert und in den Gesprächen mit ihr wurde uns dann das Thema Eifersucht unter Geschwistern klar gemacht und zusammen mit ihr haben kleine , aber massgebliche Korrekturen am Ablauf innerhalb unserer Familie vorgenommen. Heute gesprochen kann ich sagen, dass man vielleicht als Aussenstehende sagen könnte: ja das ist doch klar, dass der Grosse auch mal abends von Mami ins Bett gebracht werden möchte und nicht immer von Papi. Sehe ich heute auch so, nur damals war ich so verstrickt mit dem 2. , der abends und nachts 14 Monate stündlich gestillt werden wollte, dass meinem Mann und mir nichts anderes eingefallen ist, als er kümmert sich um den, der nicht gestillt werden will und ich um den anderen. Wir sind heute noch dankbar für den Blick und die Hilfe von Aussen, welcher ohne Verurteilungen unsere Familienweichen neu eingestellt hat….und ja Eifersucht oder auch Rivalität ist auch heute immer wieder ein Thema, für welches wir aber gut sensibilisiert sind. Ein wichtiges Thema – vielen Dank für den Artikel.

    • Anna
      27 Apr 2017 Antworten

      Liebe Carolin,
      danke für den offenen und ehrlichen Einblick. Und wow: toll, dass ihr euch gleich Hilfe geholt habt. Viele denken, dass erst „alles ganz schlimm“ sein muss, um Beratung zu holen oder jemand von außen einzuweihen. Und wie du schon sagst: als Außenstehende ist vielleicht leicht zu sehen, aber als Betroffener sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Deswegen ist es so gut, manchmal jemanden zu fragen.
      Es klingt auf jeden Fall so, dass ihr ganz feinfühlig und bedürfnisorientiert im Kontakt mit euren beiden Söhnen und auf jeden Fall kinderwärts unterwegs seid!! 😉
      Ich wünsche dir und euch alles Gute!!!
      Anna von Kinderwärts

  • Nonna
    27 Apr 2017 Antworten

    Ein toller Artikel. Habe ich sehr gerne Gelesen!

  • Lisa
    1 Mai 2017 Antworten

    Mir hat der Artikel sehr gefallen! Noch haben wir kein zweites aber das Thema ist bei uns sehr präsent. Und ich werde dran denken wenn ich hoffentlich irgendwann ein zweites Kind bekomme.

  • Steffi
    2 Mai 2017 Antworten

    Wow, der Artikel war richtig toll und kam gerade recht jetzt. Wir haben zwar noch ein paar Monate Zeit und der große Bruder ist schon 5, aber ich möchte auf keinen Fall, dass er sich irgendwie blöd dabei fühlt. Ich versuche ganz viel Zeit auch mit ihm alleine zu verbringen. Aber sicher wird das am Anfang nicht einfach. Aber da müssen ja fast alle Eltern durch, dann werden wir das wohl auch schaffen.
    Und jetzt schaue ich mir Anna Blog mal an.
    LG Steffi

  • muxxmaeuschen
    4 Jun 2017 Antworten

    Unser „Großer“ ist knapp 22 Monate alt und der Kleine gerade 3 Monate. Beim Lesen liegen mir gerade die Tränen. Der Große ist total lieb mit dem Kleinen. Bisher! Momentan versucht er mit aller Macht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Egal ob positiv oder negativ. Hauptsache Aufmerksamkeit! Gerade heute hat er dem Kleinen sehr wehgetan. Weshalb ich mit ihm geschimpft habe. ? Jetzt, nach diesem Text, tut es mir einfach unendlich leid und ich würde ihn gerade zu gerne in die Arme schließen (er schläft bereits seit 3 Stunden). Vielen Dank für diesen tollen Text! ❤️

    • Anna von Kinderwärts
      12 Jun 2017 Antworten

      Liebe „Muxxmaeuschen“,
      habe grad deine Zeilen gelesen und bin ganz gerührt! Weißt du, das ist doch das Allerwichtigste, dass du so emphatisch mit deinem Großen bist. Wenn dieses Gefühl und diese Haltung dein Handeln prägen, dann „verkraftet“ er das auch mal an „falscher“Stelle geschimpft zu werden. Und du musst ihm natürlich trotzdem klar machen, dass er nicht hauen soll. Aber den Grund dahinter zu sehen, ist eben wichtiger als nur zu schimpfen. Ich bin sicher, du machst das toll und hast beide wunderbar im Blick. Ich wünsche dir ganz viel Kraft und hoffe, du liest diese Zeilen!
      Alles, alles Liebe Anna <3

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